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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung Buch I, 42. Distinktion, 2. Frage, Nr. 24 und 27

Original:

Johannes Duns Scotus (1265-1308) über die Allmacht Gottes und ihre Implikationen
[1] Quaero utrum ex omnipotentia sua possit deus quodcumque possibile immediate producere.
[2] Videtur quod non. Quia [...] tunc posset producere subiectum sine sua propria passione, et ita esse et sciri posset sine ipsa, et per consequens nulla esset scientia simpliciter in entibus. [...]
[3] Respondeo et dico quod, licet sequendo principia philosophorum non posset teneri Deum posse ex omnipotentia immediate omnia possibilia producere [...], tamen secundum fidem, per quam discordamus cum eis in principiis, discordamus etiam in conclusione; et dico quod sic. [...]
[4] Loquendo de entibus possibilibus absolutis dico quod Deus quodlibet absolutum per se potest producere [...]. Necessario quodlibet absolutum realiter distinctum ab alio habet entitatem distinctam quae non dependet ab alio essentialiter. Ergo potest per se esse et fieri sine omni respectu ad aliud. [...]
[5] Quicumque sciens passionem absolutam inesse subiecto suo, scit quidem hoc certitudinaliter, sed non semper vel universaliter, quia tunc sciret falsum, cum non semper insit suo subiecto ut causae eius a qua oriatur. Sed hoc tantum scit ut in pluribus, quia ut in pluribus passio oritur a principiis subiecti sui.

Quelle: Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung /Reportatio Parisiensis examinata (rep. Par.) Buch I, 42. Distinktion, 2. Frage, Nr. 24 und 27.
Edition: N.N.

Auslegung:

- Johannes Duns Scotus meint, der Glaube als methodischer Ausgangspunkt müsse philosophische Prinzipien infrage stellen.
- Scotus meint, dass Gott jedes Seiende unmittelbar hervorbringen kann.
(VL Gott und die Welt)
- Der Franziskaner Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) sieht in Annahmen, die aus dem christlichen Glauben abgeleitet werden, die Notwendigkeit, bisherige philosophische Thesen infrage zu stellen
- theologische Anfrage an die Philosophie
(VL Mittelalterliche Philosophie)

Themen:

  • Gott
  • Allmacht Gottes
  • Mittelalterliche Philosophie
  • Freiheit
  • Gott und die Welt
  • Philosophie
  • Theologie

[1] Ich frage: Kann Gott kraft seiner Allmacht alles Mögliche umittelbar hervorbringen?
[2] Es sieht nicht danach aus. Dann [...] nämlich könnte Gott ein Subjekt ohne die ihm eigentümliche Eigenschaft hervorbringen; und somit könnte es ohne eigentümliche Eigenschaft existieren und gewusst werden. Infolgedessen gäbe es im Bereich des Seienden kein Wissen schlechthin. [...]
[3] Ich antworte und sage, dass sich zwar, wenn wir den Prinzipien der Philosophen folgen, nicht halten lässt, dass Gott auf Grund seiner Allmacht unmittelbar alles Mögliche hervorbringen kann [...]. Dennoch behaupte ich, dass es sich so verhält, und zwar gemäß dem Glauben, durch welchen wir mit den Philosophen über die Prinzipien unterschiedlicher Meinung sind und infolgedessen auch über die Schlussfolgerung [...]
[4] Wenn wir [...] von absoluten möglichen Seienden sprechen, behaupte ich, dass Gott jedwedes Absolute durch sich hervorbringen kann. [...] Notwendigerweise besitzt jedes Absolute, was real von anderem unterschieden ist, eine unterschiedene Seiendheit, die nicht von anderem wesentlich abhängt. Folglich kann es für sich sein und gemacht werden, ohne irgendeine Beziehung auf ein anderes. [...]
[5] Wer immer weiß, dass eine absolute Eigenschaft ihrem Subjekt zukommt, weiß das zwar sicher, aber nicht immer oder allgemein. Dann nämlich würde er etwas Falsches wissen, weil die Eigenschaft nicht immer unmittelbar ihrem Subjekt als ihrer Ursache zukommt, der sie ihr Entstehen verdankt. Er weiß aber nur, dass es sich meistens so verhält, denn meistens entsteht eine Eigenschaft aus den Prinzipien ihres Subjekts aber nicht immer.

Übersetzer: J. Söder, leicht geändert