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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung Buch I, 39.-40. Distinktion, nr. 31 - 33

Original:

Der Franziskaner Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) fragt nach der Ursache der Kontingenz in der Welt und begründet, dass auch der göttliche Wille ähnlich frei sein muss wie der menschliche
Supponendo ergo contingentiam esse in rebus, videndum est secundo, ubi sit prima ratio contingentiae. Ad quod dico quod prima ratio contingentiae est in voluntate divina vel actu eius comparata ad alia a se.
Quod probo, quia si necessario se haberet in causando alia a se, nihil esset contingens in universo, nulla etiam causa secunda esset in universo, tertio non esset malum in rebus – quae sunt absurda.

Primum probatur sic, quia quod movetur inquantum movet, si necessario movetur, necessario movet. Causa prima necessario movet [...]. Ergo omnis causa secunda necessario movet et causat. Secundum sequitur, quia causa prima prius naturaliter movet et causat quam secunda. Si ergo necessario causat in illo priori, ergo non potest non producere effectum, et ita [...] causa secunda nihil potest causare, nisi idem bis causetur, quod non est intelligibile.

Quelle: Duns Scotus, Johannes: Autorisierte Mitschrift der Pariser Vorlesung /Reportatio Parisiensis examinata (rep. Par.) Buch I, 39.-40. Distinktion, nr. 31 - 33.
Edition: N.N.

Auslegung:

Der erste Grund für Kontingenz liegt im göttlichen Willensakt, der sich auf etwas von sich selbst Verschiedenes richtet.

Themen:

  • göttlicher Wille
  • Kontingenz
  • Freiheit
  • Gott und die Welt

Vorausgesetzt also, dass es Kontingenz in den Dingen gibt, so ist zweitens zu prüfen, wo der erste Grund für Kontingenz liegt. Hierzu stelle ich die Behauptung auf, der erste Grund für Kontingenz liegt im göttlichen Willen bzw. in dem Willensakt, der sich auf etwas von sich selbst Verschiedenes richtet.
Ich beweise dies folgendermaßen: Wenn es für Gott beim Verursachen des von sich selbst Verschiedenem eine Notwendigkeit gäbe, [1] wäre nichts im Universum kontingent, [2] gäbe es auch keine Zweitursache im Universum; [3] fände sich drittens nichts Schlechtes in den Dingen. Alle drei Schlussfolgerungen sind absurd.

Das erste wird folgendermaßen bewiesen: Wenn etwas, das bewegt wird, insofern es selbst bewegt, mit Notwendigkeit bewegt wird, dann bewegt es mit Notwendigkeit. Eine Erstursache bewegt mit Notwendigkeit [...]. Folglich bewegt und verursacht jede Zweitursache mit Notwendigkeit. Das zweite folgt ergibt sich, weil eine Erstursache ihrer Natur nach früher als eine Zweitursache bewegt und verursacht. Wenn sie also in diesem früheren Moment auf notwendige und vollkommene Weise verursacht, kann sie folglich die Wirkung nicht nicht hervorbringen. Und so bleibt nichts übrig, was im zweiten Moment eine Zweitursache verursachen könnte, außer sie würde dasselbe zum zweiten Mal verursachen, was nicht vorstellbar ist.

Übersetzer: Übs. J. Söder, leicht geändert