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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Origenes: Hoheliedkommentar (Origenes) S. 75, 6-23

Original:

Der Kirchenvater Origenes erläutert die Teile der Philosophie
a) Generales disciplinae, quibus ad rerum scientiam pervenitur, tres sunt, quas Graeci ethicam, physicam, enopticam appellarunt [...].
b) Nonnulli sane apud Graecos etiam logicen [...] quarto in numero posuere. Alii non extrinsecus eam, sed per has tres, quas supra memoravimus, disciplinas innexam consertamque [...] esse dixerunt. [...].
c) Moralis autem dicitur, per quam mos vivendi honestus aptatur et instituta ad virtutem tendentia praeparantur. Naturalis dicitur, ubi uniuscuiusque rei natura discutitur, quo nihil contra naturam geratur in vita, sed unumquodque his usibus deputetur, in quos a creatore productum est. Inspectiva dicitur, qua supergressi visibilia de divinis aliquid et caelestibus contemplamur eaque mente sola intuemur.

Quelle: Origenes: Hoheliedkommentar (Origenes) /In Canticum canticorum, prooemium (Hld) S. 75, 6-23.
Edition: Origenes, Homilien zu Samuel I, zum Hohelied und zu den Propheten. Kommentar zum Hohelied in Rufins und Hieronymusʾ Übersetzungen. Herausgegeben von W. A. Baehrens (GCS Origenes 8), Leipzig 1925, S. 61–241.

Auslegung:

Dieses Zitat des Kirchenvaters Origenes, das nur in einer lateinischen Übersetzung des Rufin von Aquileia bekannt ist, gilt als das erste ausdrückliche Zeugnis für das so genannte spätantike Curriculum der Philosophie (das freilich inhaltlich bereits beim Aristoteles-Kommentator Aspasios 100 Jahre früher zu finden ist). Origenes führt zunächst die drei Disziplinen Ethik, Physik (Naturphilosophie) und Enoptik, also Metaphysik bzw. philosophische Theologie auf (a). Dann weist er darauf hin, dass die Logik hier nicht enthalten ist (b). Tatsächlich waren die Stoiker diejenigen, welche die Logik als Teil der Philosophie ansahen und daher drei gleichberechtigte Teile von ihr angeben: Ethik, Physik, Logik (Zitat Nummer 151). Dagegen schließt sich Origenes einer peripatetischen Tradition an und sieht die Logik nicht als Teil (sondern wohl eher als Werkzeug) der Philosophie. Im dritten Teil des Zitats (c) werden die drei Teile der Philosophie kurz beschrieben und die „Enoptik“ als eine Schau Gottes charakterisiert, bei der wir die Bereiche von Ethik und Naturphilosophie übersteigen. Das weist auf platonische Vorbilder hin.

Themen:

  • Ethik
  • Philosophie
  • Antike Philosophie II
  • Logik
  • Teile der Philosophie
  • Schau Gottes
  • Physik/Naturphilosophie

a) Die allgemeinen Disziplinen, durch die man zum Wissen der Dinge gelangt, sind drei, die die Griechen [i.e. die paganen Philosophen] Ethik, Physik und Enoptik nannten [...].
b) Einige der Griechen setzten die Logik [...] an die vierte Stelle. Andere sagten, sie sei nicht eigenständig, sondern den drei Disziplinen, die wir oben genannt haben, eingefügt und verbunden [...].
c) Ethik aber wird die genannt, durch die eine ehrbare Lebensweise angepasst wird und Regeln, die zur Tugend hinneigen, vorbereitet werden. Naturwissenschaft wird die genannt, in der die Natur jeder Sache erörtert wird, damit nichts im Leben gegen die Natur getan wird, sondern ein jedes dem Zweck zugeführt wird, zudem es vom Schöpfer hergestellt wurde. Enoptik wird die genannt, durch die wir, wenn wir das Sichtbare überstiegen haben, etwas vom Göttlichen und Himmlischen betrachten und allein mit dem Geist anschauen.

Übersetzer: Matthias Perkams