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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Cicero: Das Schicksal § 39 und § 43

Original:

Cicero über die stoische Theorie der Freiheit
Cum duae sententiae fuissent veterum philosophorum, una eorum qui censerent omnia ita fato fieri, ut id fatum vim necessitatis adferret [...], altera eorum quibus viderentur sine ullo fato esse animorum motus voluntarii, Chrysippus tamquam arbiter honorarius medium ferire voluisse [...]; delabitur in eas difficultates, ut necessitatem fati confirmet invitus. [...] ,ut igiturʻ, inquit, ,qui protrusit cylindrum, dedit ei principium motionis, volubilitatem autem non dedit, sic visum obiectum imprimet illud quidem et quasi signabit in animo suam speciem, sed adsensio nostra erit in potestate, eaque, quemadmodum in cylindro dictum est, extrinsecus pulsa, quod reliquum est, suapte vi et natura movebitur.

Quelle: Cicero: Das Schicksal /De fato § 39 und § 43.
Edition: N.N.

Auslegung:

Es handelt sich um einen der bedeutendsten und frühesten Berichte um das Problem von Freiheit und Determinismus in der Antike:
Nach dem Zitat stehen sich bei den "alten" Philosophen die Auffassungen gegenüber, das Schicksal (lat. fatum, griech. heimarmene) determiniere die menschlichen Handlungen oder es gebe für den Menschen eine Wahlmöglichkeit im Hinblick auf seine Handlungen. Cicero (um 45 v. Chr.) schreibt weiterhin Chrysipp, dem bedeutendsten Stoiker (3. Jhdt. v. Chr.), die Absicht zu, hier einen Mittelweg zu finden: Sein Beispiel ist eine runde, zylinderförmige Röhre. Nach Chrysipp bewege sie sich, wenn sie von außen angestoßen werde, nur deswegen rollend, weil ihre eigene runde Form dem dies ermögliche. Man könne nicht sagen, dass sie nur durch die äußere, anstoßende Ursache bewegt werde, sondern auch sie selbst sei eine Mitursache für die Bewegung - ebenso müsste auch unsere Zustimmung einem Eindruck von außen entsprechen damit wir eine bestimmte Handlung begehen.
Cicero selbst ist allerdings der Meinung, dass Chrysipp hierbei scheitert, denn Cicero erkennt eine menschliche Handlungsfreiheit nur dann an, wenn der Mensch tatsächlich mehrere Möglichkeiten zur Wahl hat, und nicht schon dann, wenn er selbst auf einen äußeren Einfluss reagiert.

Historisch handelt es sich um einen sehr bedeutsamen Bericht, denn er ist wohl so zu interpretieren, dass Cicero eine Ansicht Chrysipps darüber zitiert, wie die Situation zu dessen Zeit, also im Frühhellenismus war. Insofern zeigt der Text, wie alt eine ganz bewusste Diskussion über Freiheit und Determinismus zurückreicht, die wohl mit den alten Stoikern und ihrer Lehre vom Schicksal beginnt.

(Matthias Perkams)

Cicero schildert, wie Chrysipp von Soloi (ca. 281/76-208/04 v. Chr.; der ,Vollender‘ des stoischen Systems) erstmals versuchte, eine ,kompatibilistische‘ Theorie der Einheit von Kausaldetermination und selbständiger menschlicher Entscheidung zu formulieren (VL Freiheit )

Themen:

  • Freiheit
  • Stoiker
  • Schicksal
  • Fatum
  • Determinismus
  • Gott und die Welt
  • Antike Philosophie II

Unter den alten Philosophen gab es zwei Auffassungen; die einen meinten, alles geschehe durch das Fatum, und zwar in der Weise, dass dieses Fatum die Gewalt einer Notwendigkeit mit sich bringe. [...] Die anderen meinten, es gebe freiwillige Bewegungen des Geistes, die ohne jedes Fatum erfolgten. Wie mir scheint, wollte daraufhin Chrysipp sozusagen als Ehrenschiedsrichter einen Mittelweg finden. [...] Aber bei der Darstellung seiner eigenen Auffassung gleitet er in Schwierigkeiten, so dass er, ohne es zu wollen, die Notwendigkeit des Fatums behauptet. [...] ,Wie alsoʻ, sagt er, ,derjenige, der die Walze angestoßen hat, ihr zwar den Beginn der Bewegung, aber nicht die Fähigkeit zur Drehung vermittelte, so wird ein gesehener Gegenstand dem Geist zwar die entsprechende Vorstellung einprägen und ihr seine Gestalt gleichsam einzeichnen; aber die Zustimmung dazu wird in unserer Macht liegen: Nachdem sie, wie das an der Walze erläutert worden ist, den Anstoß von außen empfangen hat, wird sie sich von da mit eigener Kraft und aus ihrer eigenen Natur heraus bewegen.

Übersetzer: Hülser, leicht geändert