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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Plotin: Enneade V, 1 [10], 2, 1-9

Original:

Als ersten Schritt ihres geistigen Aufstiegs muss die Seele nach Plotin zunächst ihre eigene Stellung über der Körperwelt erkennen
Ἐνθυμείσθω τοίνυν πρῶτον ἐκεῖνο πᾶσα ψυχή, ὡς αὐτὴ μὲν ζῷα ἐποίησε πάντα ἐμπνεύσασα αὐτοῖς ζωήν, ἅ τε γῆ τρέφει ἅ τε θάλασσα ἅ τε ἐν ἀέρι ἅ τε ἐν οὐρανῷ ἄστρα θεῖα, αὐτὴ δὲ ἥλιον, αὐτὴ δὲ τὸν μέγαν τοῦτον οὐρανόν, καὶ αὐτὴ ἐκόσμησεν, αὐτὴ δὲ ἐν τάξει περιάγει φύσις οὖσα ἑτέρα ὧν κοσμεῖ καὶ ὧν κινεῖ καὶ ἃ ζῆν ποιεῖ· καὶ τούτων ἀνάγκη εἶναι τιμιωτέραν, γιγνομένων τούτων καὶ φθειρομένων, ὅταν αὐτὰ ψυχὴ ἀπολείπῃ ἢ χορηγῇ τὸ ζῆν, αὐτὴ δὲ οὖσα ἀεὶ τῷ μὴ ἀπολείπειν ἑαυτήν

Quelle: Plotin: Enneade /Enneade (enn.) V, 1 [10], 2, 1-9.
Edition: Plotini Opera. Edidit P. Henry / H.-R. Schwyzer. Tomus 1–3, Oxford 1964–1977.

Auslegung:

In der Enneade 5, 1 gibt Plotin eine Anleitung, wie die einzelne Seele bzw. der Mensch, der durch diese Seele denkt, den geistigen Aufstieg zu den höheren Instanzen beginnen soll. Der erste Schritt dabei ist die Selbsterkenntnis der Seele, in der diese sich – ontologisch gesprochen – zu ihrem eigenen Wesen zurückwendet. Dabei erkennt sie die schöpferische Gestaltungsmacht, die sie als Seele hat. Das wirkt auf den Leser zunächst befremdlich, denn es ist ja nicht einzusehen, warum die Einzelseele die Welt und die Lebewesen geschaffen haben soll. Verständlich wird dies aber vor dem Hintergrund der Philosophie Plotins, wo die einzelne Seele nichts anderes ist als eine Instanz der Seele im Ganzen, die sich sowohl als Weltseele als auch als Einzelseele ausdrückt und stets das Prinzip ist, das Körperliches ordnet, mit Leben erfüllt und so die Wirklichkeit herstellt, in der wir uns als körperliche Wesen bewegen. Damit erfährt die Seele in dieser Reflexion zugleich ihre Überordnung über diese Wirklichkeit.

Themen:

  • Seele
  • Selbsterkenntnis
  • Antike Philosophie II
  • Tod und Sterben
  • Mensch und Seele
  • Aufstieg (der Seele)
  • Neuplatonismus

Dies soll nun zuerst jede Seele bedenken, dass sie alle Lebewesen erschuf, indem sie ihnen Leben einhauchte: die, welche die Erde nährt, und die, welche das Meer, die in der Luft und die göttlichen Sterne am Himmel; sie [schuf] die Sonne, sie diesen gewaltigen Himmel, und sie schmückte sie, und sie leitet sie in Ordnung, das sie eine andere Natur ist als das, was sie schmückt und was sie bewegt und was sie leben lässt. Notwendigerweise ist sie auch edler als dies, da dies entsteht und vergeht, während die Seele das Leben verlässt und anführt, da sie stets sie selbst, "indem sie sich selbst nie verlässt".


Übersetzer: Matthias Perkams im Anschluss an Christian Tornau