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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Plotin: Enneade 1, 8 [51], 7, 21-8, 1-3 und 8, 10-13 und 37-42

Original:

Plotin sieht die Materie, das unterste Ende seiner hierarchischen Ordnung des Seienden, als das eigentlich Böse an und alles, was wir als schlecht erleben bzw. tun, letztlich als Wirkung der steten Präsenz der ungeordneten Materie in allen Dingen, die aus dem Einen hervorgehen
a) ἐξ ἀνάγκης δὲ εἶναι τὸ μετὰ τὸ πρῶτον, ὥστε καὶ τὸ ἔσχατον· τοῦτο δὲ ἡ ὕλη μηδὲν ἔτι ἔχουσα αὐτοῦ. καὶ αὕτη ἡ ανάγκη τοῦ κακοῦ.
b) Εἰ δὲ τις λέγοι μὴ διὰ τὴν ὕλην ἡμᾶς γενέσθαι κακούς - μήτε γὰρ τὴν ἄγνοιαν διὰ τὴν ὕλην εἶναι μήτε τὰς ἐπιθυμίας τὰς πονηράς [...] καὶ οὗτος οὐδὲν ἧττον τὴν ὕλην συγχωρεῖν ἀναγκασθήσεται τὸ κακὸν εἶναι. Ἅ τε γὰρ ποιεῖ ἡ ἐν ὕλῃ ποιότης, οὐ χωρὶς οὖσα ποιεῖ, ὥσπερ οὐδὲ τὸ σχῆμα τοὺ πελέκεως ἄνευ σιδήρου ποιεῖ. [...]
c) ἔστω δὲ πρώτως μὲν τὸ ἄμετρον κακόν, τὸ δ᾿ ἐν ἀμετρίᾳ γενόμενον ἢ ὁμοιώσει ἢ μεταλήψει τῷ συμβεβηκέναι αὐτῷ δευτέρως κακόν. [...] κακία δὴ ἄγνοια οὖσα καὶ ἀμετρία περὶ ψυχὴν δευτέρως κακὸν καὶ οὐκ αὐτοκακόν.

Quelle: Plotin: Enneade /Enneade (enn.) 1, 8 [51], 7, 21-8, 1-3 und 8, 10-13 und 37-42.
Edition: Plotini Opera. Edidit P. Henry / H.-R. Schwyzer. Tomus 1–3, Oxford 1964–1977.

Auslegung:

Das Zitat ist eine kurze Zusammenfassung von Plotins zentralen Aussagen zum Problem des Bösen, die in der Aussage gipfelt, dass die Materie selbst das Böse sei (am Ende von a), insofern es das Unmaß selbst sei (c), während alle anderen Entitäten insofern schlecht seien, insofern dieses Unmaß irgendwie in ihnen präsent sei, weil sie materiell seien (c). Wie häufig bei Plotin, werden diese Aussagen nicht lehrbuchartig dargelegt, sondern eher hypothetisch vorausgesetzt und dann kritisch diskutiert. In diesem Sinne diskutiert b) einen möglichen Einwand gegen die These, die Materie sei das eigentlich Böse, sondern dieses liege ja eigentlich in schlechten Begierden oder Unwissenheit, nämlich der Seele bzw. des Menschen. Plotins Antwort ist, dass diese nachvollziehbaren Ursachen des Bösen sich doch letztlich auf die Materie zurückführen lassen, welche die in der Seele ursprünglich befindliche gute Ordnung bereits grundsätzlich gestört hat. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Materie ein notwendiger Teil des Kosmos ist, der letztlich auch aus dem ersten entstanden ist. Daran zeigt sich, dass die Präsenz des Bösen bzw. Schlechten an der Welt, als eine Begrenztheit der (Möglichkeit von) Ordnung der vom einen ausgehenden Ordnung selbst innewohnt und insofern ein unverzichtbares Element des plotinischen Weltbildes darstellt.

Themen:

  • Materie
  • Das Böse
  • Unmaß
  • Gott und die Welt
  • Antike Philosophie II
  • Das Schlechte
  • Neuplatonismus
  • Tod und Sterben

a) Nun ist aber das, was auf das Erste folgt, mit Notwendigkeit vorhanden; folglich auch das Letzte; dies ist die Materie, die nichts mehr von jenem an sich hat. Und dies ist die Notwendigkeit des Bösen.
b) Wenn aber jemand behaupten will, dass wir nicht durch die Materie böse werden – denn weder das Unwissen gehe aus der Materie hervor noch die schlechten Begierden [...] – so wird auch er dennoch gezwungen sein zuzugestehen, dass die Materie das Böse ist. Was nämlich die Qualität in einer Materie tut, tut sie nicht, indem sie sich außerhalb befindet, sowie auch die Gestalt der Axt nichts ohne das Eisen tut. [...]
c) Es gelte somit als erstes Böses das Unmaß, das aber, was in Ungemessenheit gerät durch Verähnlichung oder Teilhabe, weil ihm dies nur zustößt, das zweite Böse. [...] So ist die Schlechtigkeit, die eine Unwissenheit und Ungemessenheit in der Seele ist, nur ein zweites Böses und nicht das Böse selbst.

Übersetzer: meist Harder, leicht geändert von Matthias Perkams