Original:
Der Mönchsvater Evagrios Pontikos (ca. 345-399) regt seine Leser an, das Christentum als Verbindung philosophischer Disziplinen zu begreifen
1. Χριστιανισμός ἐστι δόγμα τοῦ Σωτῆρος ἡμῶν Χριστοῦ ἐκ πρακτικῆς καὶ φυσικῆς καὶ θεολογικῆς συνεστός.
2. Βασιλεία οὐρανῶν ἐστιν ἀπάθεια ψυχῆς μετὰ γνώσεως τῶν ὄντων ἀληθοῦς.
3. Βασιλεία Θεοῦ ἐστι γνῶσις τῆς ἁγίας Τριάδος συμπαρεκτεινομένη τῇ συστάσει τοῦ νοός, καὶ ὑπερβάλλουσα τὴν ἀφθαρσίαν αὐτοῦ.
Quelle:
Evagrios Pontikos :
Gnostikos
/
Gnostikos
(
gnos.)
Capita 1-3.
Edition: Évagre le Pontique, Le ›Gnostique ou à celui qui est devenu digne de la science‹. Édition critique des fragments grecs. Traduction integrale établie au moyen des versions syriaque et arménienne. Commentaire et tables par A. Guillaumont et C. Guillaumont (SC 356), Paris 1989.
Auslegung:
Evagrios Pontikos (ca. 345-399), ein Schüler der kappadokischen Väter, geht als Mönch in die ägyptische Wüste und stellt dort Meditationsbücher für intellektuell interessierte Mönche (und geweihte Frauen) zusammen. Diese Schriften verbreiten sich über alle Teile der antiken Welt, werden in viele Sprachen übersetzt und beeinflussen geistliche Bewegungen in Ost und West. Damit werden auch viele philosophische Konzepte transportiert, denn Evagrios ist hochgebildet und erkennt den Wert einer rationalen Lebensführung. Der Text ist ein schönes Beispiel: Die ersten drei Sentenzen seiner Sammlung „Gnostikos“ (Der Erkennende) beschreiben das Christentum anhand der drei philosophischen Disziplinen praktische Philosophie, Naturphilosophie und philosophische Theologie. Die beiden folgenden Sentenzen identifizieren das „Königreich der Himmel“ bzw. „Königreich Gottes“ als wahre, mit Leidensfreiheit einhergehende Erkenntnis, die letztlich auf die Trinität gerichtet ist. Die beiden Formeln, die in den Evangelien das ewige Leben bei Gott bezeichnen, erhalten so eine philosophische Signifikanz, die sich um wahre Erkenntnis und das Erreichen des ursprünglich stoischen Ziels der Leidensunfähigkeit (ἀπαθεία/apatheia) dreht.
Themen:
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Antike Philosophie II
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Christentum
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Freiheit
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Christentum und Philosophie
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Disziplinen (der Philosophie)
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Erkenntnis
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Trinität
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Apatheia
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Aphorismus/Sentenz
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Mönchstum
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geistliche Übung