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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Philon von Alexandrien: Die zehn Gebote 87f. (Philonis opera IV p. 288)

Original:

Philon von Alexandrien vergleicht die Wirkung des Gewissens mit einem Gerichtshof der Gedanken
ὁ γὰρ ἑκάστῃ ψυχῇ συμπεφυκὼς καὶ συνοικῶν ἔλεγχος, οὐδὲν εἰωθὼς παραδέχεσθαι τῶν ὑπαιτίων, μισοπονήρῳ καὶ φιλαρέτῳ χρώμενος ἀεὶ τῇ φύσει, κατήγορος ὁμοῦ καὶ δικαστὴς ὁ αὐτὸς ὤν, διακινηθεὶς ὡς μὲν κατήγορος αἰτιᾶται, κατηγορεῖ, δυσωπεῖ, πάλιν δ’ ὡς δικαστὴς διδάσκει, νουθετεῖ, παραινεῖ μεταβάλλεσθαι· κἂν μὲν ἰσχύσῃ πεῖσαι, γεγηθὼς καταλλάττεται, μὴ δυνηθεὶς δὲ ἀσπονδεὶ πολεμεῖ μήτε μεθ’ ἡμέραν μήτε νύκτωρ ἀφιστάμενος, ἀλλὰ κεντῶν καὶ τιτρώσκων ἀνίατα, μέχρις ἂν τὴν ἀθλίαν καὶ ἐπάρατον ζωὴν ἀπορρήξῃ.

Quelle: Philon von Alexandrien: Die zehn Gebote /De decalogo (de deca.) 87f. (Philonis opera IV p. 288).
Edition: Philo Alexandrinus, Opera Graeca: Philonis Alexandrini Opera quae supersunt. Volumen 1–6. Ediderunt L. Cohn / P. Wendland / S. Reiter, Berlin 1896–1915. Bd. IV.

Auslegung:

Der Jude Philon stellt hier die Idee dar, im Inneren des Menschen gebe es Gedanken sich selbst für die eigenen Vergehen anzuklagen, die es auch beim Apostel Paulos gibt (1. Korintherbrief). Der Text, dessen genaue Quellen unklar sind, markiert so einen wichtigen Schritt zu einer Beschreibung des Gewissens als innerer Gerichtshof, die insbesondere bei Kant ausgearbeitet ist. Aber schon vorher wird betont, z.B. bei Philons Zeitgenosse Seneca (Zitat Nummer 379) und später bei Abaelard (Zitat Nummer 372), dass jeder sich selbst prüfen und richten soll.

Themen:

  • Gesetz und Gewissen
  • Seele
  • Gewissen
  • Richter
  • Selbstprüfung

Denn die jeder Seele angeborene und mit ihr lebende Prüfung, die nicht gewohnt ist, etwas Unrechtes zuzulassen, die immer eine das schlechte Hassende und die Tugend liebende Natur zeigt, ist Ankläger und Richter zugleich; wenn sie einmal geweckt ist, beschuldigt sie als Ankläger, klagt an und beschämt; als Richter hinwiederum belehrt sie, erteilt Zurechtweisung, mahnt zur Umkehr. Und hat sie überreden können, dann ist sie erfreut und ausgesöhnt; konnte sie das aber nicht, dann kämpft sie unversöhnlich und lässt weder am Tag noch in der Nacht ab, sondern versetzt unheilbare Stiche und Wunden, bis sie das elende und fluchwürdige Leben vernichtet hat.

Übersetzer: Treitel, leicht geändert von Matthias Perkams