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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Origenes: Römerbriefkommentar (Origenes) 2, 14-16 (Bd. 1, p. 230-232 Heither)

Original:

Der Kirchenvater Origenes deutet Paulus‘ Aussagen im Römerbrief als Theorie der Freiheit des Gewissens (libertas conscientiae)
Atque testimonio sanae conscientiae uti apostolus dicit eos, qui descriptam continent in cordibus legem. Unde necessarium videtur discutere, quid istud sit, quod conscientiam apostolus vocat; utrumne alia sit aliqua substantia quam cor vel anima. Haec enim conscientia et alibi dicitur, quia reprehendat, non reprehendatur et iudicet hominem, non ipsa iudicetur [...]. Quia ergo tantam eius video libertatem, quae in bonis quidem gestis gaudeat semper et exsultet, in malis vero non arguatur, sed ipsam animam, cui cohaeret, reprehendat et arguat, arbitror, quod ipse sit spiritus, qui ab apostolo esse cum anima dicitur [...] velut paedagogus ei quidam sociatus et rector, ut eam de melioribus moneat vel de culpis castiget et arguat.

Quelle: Origenes: Römerbriefkommentar (Origenes) (Röm.kom.) 2, 14-16 (Bd. 1, p. 230-232 Heither).
Edition: Origenes, ›Commentarii in epistulam ad Romanos‹. ›Römerbriefkommentar‹. Übersetzt und eingeleitet von Th. Heither. Partes 1–6 [Fontes Christiani 2], Freiburg 1990–1999.

Auslegung:

Der Kirchenvater Origenes erläutert hier Paulus’ Aussagen dazu, wie Nicht-Juden auch ohne das jüdische Gesetz, allein aufgrund ihres Herzens und Gewissens Gott gehorsam sein können (Zitat Nummer 337). Paulus benutzt offenbar den philosophischen Begriff Gewissen (griech. συνείδησις/syneidēsis), um den alttestementarischen Terminus ,Herz‘ zu erklären, der dort das Innere des Menschen beschreibt. Origenes nimmt das zum Anlass für einen Exkurs über das Gewissen. Origenes schreibt dem Gewissen insofern „Freiheit“ zu, als es nicht von schlechten Gedanken und Absichten des Menschen eingeschränkt werden kann. Damit steht es letztlich oberhalb der Seele, die durchaus schlecht oder gut werden kann. Origenes verbindet dieses Gewissen ferner mit der Bezeichnung ,Geist‘, womit hier nicht das griechische νοῦς/nous, also der übliche philosophische Terminus übersetzt wird, sondern das griechische πνεῦμα/pneuma, der übliche Terminus aus dem griechischen alten Testament, der bei Paulus häufig auftaucht. Origenes verwendet den Terminus aber in einem ähnlichen Sinn wie nous als höchstes Seelenvermögen. Die Idee eines höchsten Seelenvermögens als Erzieher im Menschen verweist jedenfalls auf die mittelatlerliche Idee des Urgewissens voraus.

Themen:

  • Gesetz und Gewissen
  • Gewissensfreiheit
  • Paulus (Apostel)
  • Geist
  • Gewissen
  • Römerbrief (Kapitel 7)
  • Seele
  • Selbstprüfung
  • Erziehung
  • Herz
  • Urgewissen/Synderesis

Und der Apostel sagt, dass diejenigen das Zeugnis eines gesunden Gewissens besitzen, die das in die Herzen eingeschriebene Gesetz einhalten. Daher scheint es notwendig zu erörtern, was dasjenige sei, das der Apostel Gewissen nennt; ob es eine andere Substanz ist als das Herz oder die Seele. Denn von diesem Gewissen wird auch anderswo [in der Bibel] gesagt, dass es tadelt und nicht getadelt wird und den Menschen richtet, selbst aber nicht gerichtet wird. [...] Weil ich also bei ihm eine so große Freiheit sehe, dass es sich immer an den guten Taten freut und über sie jubelt, für die schlechten aber nicht angeklagt wird, sondern die Seele, der es anhängt, tadelt und anklagt, meine ich, dass es der Geist ist, von dem der Apostel sagt, er sei mit der Seele [...], mit ihr verbunden wie ein Erzieher und Leiter, um sie über das Bessere zu ermahnen und über die Schuld zu strafen und anzuklagen.

Übersetzer: Matthias Perkams