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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung 2-3 = 1-5

Original:

Averroes über die Notwendigkeit philosophischer Forschung laut dem Koran
إن كان فعل الفلسفة ليس شيئاً أكثر من الهظر في الموجودات واعتبارها من جهة جلالتها على الصانع ... وكان الشرع قد ندب إلى اعتبارالموجودات وحث على ذلك، فبيّن أن ما يدلّ عليه هذا الإسم إما واجب بالشرع وإما مندوب. فأما أن الشرع دعا إلى اعتبار الموجودات بالعقل ... بيّن في غير ما آية من كتاب ألله. ...
وبيّن أن هذا النحو من النظر الذي دعا إليه الشرع وحث عليه هو أتمّ أنواع النظر بأتمّ أنواع القياس وهو المسمى برهان.


Quelle: Ibn Rušd (Averroes): Die entscheidende Abhandlung /Faṣl al-maqāl 2-3 = 1-5.
Edition: F. Schupp, Averroes. Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie. Arabisch-deutsch, Hamburg 2009.

Auslegung:

In seiner Entscheidenden Abhandlung formuliert Ibn Rušd (Averroes) als muslimischer Oberrichter in Spanien seine Position zum Verhältnis von Philosophie und Islam. Seine Grundthese findet sich in diesem Text: Es ist nicht nur erlaubt, als Muslim Philosophie zu treiben, es ist sogar geboten. Averroes formuliert das hier in der Form eines Syllogismus:
Prämisse 1: Philosophie ist eine Betrachtung des Existierenden/Seienden und seines Herstellers/Schöpfers (Gott). (Diese Prämisse kann als Interpretation von Aristoteles’ Verständnis der Metaphysik als einer Seinswissenschaft verstanden werden, insofern diese die Ursachen des Seins mit einbezieht – vgl. dazu Ibn Sīnā in Zitat Nummer 453).
Prämisse 2: Der Koran schreibt den Gläubigen vor, das Existierende zu betrachten (als Beleg werden – hier ausgelassen – Koranverse angeführt).
Folgerung: Es ist den Muslimen geboten, Philosophie zu treiben.
Damit formuliert Ibn Rušd natürlich eine recht radikale Position innerhalb der islamischen Diskussion. Tatsächlich hat er die Fatwa, den Richterspruch, den sein Text formal bildet, auch nicht veröffentlicht. Die Idee, dass eine Hochschätzung von Wissenschaft und der Erwerb von Wissen zu den Zielen des menschlichen Lebens gehört, gehört aber durchaus zur islamischen Überlieferung.

Themen:

  • Gesetz und Gewissen
  • Philosophie
  • Koran
  • Philosophische Forschung
  • Judentum und Islam
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Auslegung (autoritativer Schriften)
  • Philosophie und Religion
  • Islam und Philosophie
  • Gesetz (religiöses)
  • Schari’a

Wenn die Tätigkeit der Philosophie nichts weiter ist als die Theorie (naẓar) über das Existierende (al-mawǧūdāt) und seine Betrachtung, insofern es auf den Hersteller verweist [...], und wenn das Gesetz (aš-šarʿ) dazu aufgefordert und angespornt hat, das Existierende zu betrachten, so ist klar, dass das, worauf dieser Name verweist, entweder vom Gesetz vorgeschrieben oder als Auftrag gegeben ist. Dass das Gesetz dazu aufruft, mit dem Intellekt (ʿaql) das Existierende zu betrachten [...], wird klar durch verschiedene Verse aus dem Buch Gottes. [...].
Und es ist klar, dass diese Form von Theorie, zu welcher das Gesetz aufruft und anspornt, die vollendetste Art der Theorie mittels der vollendetsten Art des Schlusses ist, und diese wird ,Beweis‘ (burhān) genannt.


Übersetzer: Schupp, geändert von Matthias Perkams