Original:
Averroes erklärt den Hintergrund der allegorischen Auslegung von Korantexten, die deren Vereinbarkeit mit der Philosophie sicherstellt, und die Bedingungen für dieses Vorgehen im Einzelfall
(12) فإن معشر المسلمين بعلم على القطع أنه لا يؤدي النظر البرهاني مخالفة ما ورد به الشريعة، فإن الحق لا يضاد الحق بل يوافقه ويشهد له.
(13) وإذا كان هذا هكذا، فإن أدّى النظر إلى نحو ما من المعرفة بموجود ما، فلا يخلو ذلك الموجود أن يكون قد سُكت عنه في الشرع أو عُرف به. وهو بمنزلة ما سُكت عنه من الأحام فاستنبتطها الفقيه بالقياس الشرعي. وإن كانت نطقت به الشريعة، فلا يخلو ظاهر النطق أن يكون موافقاً لما أدّى إليه البرهان أو مخالفاً. ... وإن كان مخالفاً طُلب هنالك تأويله. ومعنى التأويل هو إخراج دلالة اللفظ من الدلالة الحقيقيّة ألى الدلالة المجازيّة.
Quelle:
Ibn Rušd (Averroes):
Die entscheidende Abhandlung
/
Faṣl al-maqāl
13f.
Edition: F. Schupp, Averroes. Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie. Arabisch-deutsch, Hamburg 2009.
Auslegung:
Dieser Text buchstabiert Ibn Rušds Idee eines islamischen Philosophierens (Zitat Nummer 348) weiter aus und berücksichtigt dabei insbesondere das Verhältnis der Philosophie zu Aussagen des
Korans. Bevor Ibn Rušd hierauf zu sprechen kommt, hebt er die sachliche Übereinstimmung zwischen Philosophie und Islam hervor, wenn er sagt: „Das Wahre widerspricht nicht dem Wahren“, also: Der Islam, wenn er richtig verstanden wird, widerspricht nicht der Philosophie, wenn sie richtig ausgeführt wird. Dieser Satz, der auf Aristoteles’ Logik zurückgeht, drückt also die grundsätzliche Übereinstimmung von wahrer Philosophie und wahrer Religion aus. – In [13] geht Ibn Rušd dran daran, diese Position für die Koraninterpretation weiter auszulegen:
a) Eine philosophische Position wird im
Koran gar nicht erwähnt. Dann entsteht kein Problem.
b) Eine philosophische Position wird im
Koran erwähnt, und der „äußere Sinn“ der betreffenden Stelle, d.h. ihr wörtliches Verständnis, stimmen mit der philosophischen Position überein. Dann entsteht ebenfalls kein Problem.
c) Eine philosophische Position wird im
Koran erwähnt, und der „äußere Sinn“ der betreffenden Stelle, d.h. ihr wörtliches Verständnis, sind mit der philosophischen Position nicht vereinbar. In diesem Falle muss die Koranstelle im übertragenen Sinn ausgelegt werden, um die Verantwortlichkeit religiöser Rede vor der Wissenschaft nicht zu gefährden. Damit widerspricht Ibn Rušd ausdrücklich al-Ġazālīs Kritik an Ibn Sīnā (Zitat Nummer 463 [1]).
Ibn Rušd setzt in seinen Überlegungen voraus, dass es eine wahre philosophische Position gibt, wie das auch seine Vorgänger taten, und dass diese der Sache nach mit dem Islam übereinstimmt. Seine diesbezügliche Position wurde im lateinischen Mittelalter scharf kritisiert, weil man dort dezidiert der Meinung war, dass einige christliche Positionen, z.B. die Menschwerdung Christi, dezidiert übernatürlich seien, also gar nicht von der Philosophie erkannt werden könnten. Allerdings kann Ibn Rušds Theorie durchaus in einem allgemeineren Sinn herangezogen werden, um die Kompatibilität heiliger Schriften mit wissenschaftlichen Aussagen zu untersuchen, wobei dann aber anerkannte wissenschaftliche Hypothesen die Grundlage bilden müssen.
Themen:
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Gesetz und Gewissen
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Al-Ġazālī
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Schari’a