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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten I Einl. § 9f

Original:

Maimonides skizziert den Adressaten des Wegweisers für die Verwirrten und erklärt das Ziel des Werkes
(1) غرض هذه المقالة تنبيه رجل الديِّن، قد اتّضع في نفسه وحصل في اعتقاده صحة شريعتنا وهو كامل في دينه وخلقه، ونظر في علوم الفلاسفة وعلم معانيها، وجذبه العقل الإنساني وقاده ليحلّه في محاله وعاقته ظواهر الشريعة. ...
(2) فبقي في حيرة ودهشة إما أن ينقاد مع عقله ... فيظنّ أنه أطرح قواعد الشريعة، ... أو يتقي مع ما فهمه منها ولا ينجذب مع عقله، ف... يرى مع ذلك أنه قد جلب عليه أذية وفساداً في دينه، ويبقي مع تلك العتقادات الخيالية، وهو منها على وجل ووخامة. ...
(3) فإذا بيّنّا له ذلك المثل أو نبهناه على كونه مثلا اهتدي وتخلص من تلك الحيرة، ولذلك سميت هذه المقالة دلالة الحائرين.


Quelle: Moses Maimonides: Wegweiser für die Verwirrten /Ḍalālat al-ḥāʾirīn /Dux neutrorum sive perplexorum I Einl. § 9f.
Edition: Maimonides, Dalālat al-̣hā'irīn. Ed. ̣Husain Atāy, Kairo 1980.

Auslegung:

Die Einleitung des Wegweisers für die Verwirrten des Maimonides weist auf das Ziel des Buches hin, das bemerkenswert aktuell wirkt: Der Adressat ist ein frommer Jude, der sich mit den philosophischen Wissenschaften beschäftigt hat. Damit steht er vor der Herausforderung, dass die Philosophie ihn in eine andere Richtung lenkt als seine religiöse Erziehung. Das Ergebnis ist, dass dieser Mensch in Schrecken und Verwirrung verfällt und in Gefahr steht, seine religiös geprägte Hoffnung zu verlieren. Maimonides möchte, wie er unter [3] erläutert, das Problem dadurch lösen, dass er auf die ,Allegorien‘ der Bibel eingeht und ihren tieferen Sinn erklärt – er möchte also zeigen, dass durch eine, wo es nötig ist, übertragene Erklärung der Bibel eine wissenschaftskonforme Lesart dieser möglich ist. Damit kommt er in die Nähe des Ibn Rušd (Averroes), der ebenfalls in Córdoba sein Ausbildung erhielt (vgl. Zitat Nummer 349).

Themen:

  • Gesetz und Gewissen
  • Verwirrung
  • Judentum und Islam
  • Auslegung (autoritativer Schriften)
  • Äußerer/wörtlicher Schriftsinn
  • Gesetze
  • Philosophie und Religion
  • Allegorie/Allegorese
  • Gesetz (religiöses)
  • Schari’a
  • Torah

[1] Das Ziel dieses Buches die Ermahnung eines religiösen Menschen – er ist in seiner Seele demütig geworden, und in seiner Überzeugung verfestigte sich die Richtigkeit unseres Gesetzes (šarīʿa = die Torah) feststeht, so dass er vollkommen ist in Religion und Sitten –, der die philosophischen Wissenschaften betrachtet und ihre Inhalte kennt. Nun leitet ihn der menschliche Intellekt an und lädt ihn ein, sich in seinem Lager niederzulassen, und der äußere Sinn des Gesetzes (ṯawāhir aš-šarīʿa) hält ihn zurück. [...]
[2] Also bleibt er in Verwirrung und Schrecken: Entweder lässt er sich einladen von seinem Intellekt [...] – und dann wird er meinen, gegen die Grundlagen des Gesetzes fortzuwerfen –, oder soll er bleibt er bei dem, was er von ihm verstanden hat und lässt sich nicht von seinem Intellekt anleiten. Dann [...] wird er trotzdem sehen, dass er sich Schaden zugezogen hat und Verderben in seiner Religion (dīn), und er wird mit diesen eingebildeten Überzeugungen (iʿtiqādāt) zurückbleiben, wobei er durch sie in Angst und Unbehagen ist. [...]
[3] Wenn wir ihm nun diese Allegorien (muṯul) [in der Torah] erklären oder ihn ermahnen, dass dies Allegorien sind, dann wird er zurückfinden und aus dieser Verwirrung gerettet werden. Daher habe ich dieses Buch Wegweiser für die Verwirrten genannt.


Übersetzer: Abel /Levkovich/Musall, geändert von Matthias Perkams