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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung I 1, § 1-3. 5-6

Original:

Yūsuf al-Baṣīr überliefert Definitionen von Grundbegriffen aus dem muʿtazilitischen Kalām
حدّ الإسم وحقيقته بمعنى واحد. فحد الشيء ما صحّ أن يعلم ويخبر عنه، فلا فصل بين قولنا شيء وبين قولنا معلوم، وفي كلام المتكلمين ذات. ... والشيء ينقسم قسمين موجود ومعدوم، ... والموجود ينقسم قسمين وهما قديم ومحدَث، فالقديم هو ما لا اول لوجوده. ... والمحدَث ينقسم جواهر واعراض. ... فالجوهر هو ما اذا وجد شغل حيزة.

Quelle: Yūsuf al-Baṣīr : Das Buch der Unterscheidung /Kitāb at-Tamyīz (Untersch.) I 1, § 1-3. 5-6.
Edition: Yūsuf al-Baṣīr, Das Buch der Unterscheidung. Judäo-Arabisch/Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Wolfgang von Abel, Freiburg u.a. 2005.

Auslegung:

Der vorliegende Text, der dem Traktat des Juden Yūsuf al-Baṣīr entnommen ist, gibt einige muʿtazilitische Definitionen von Kernbegriffen ihrer Lehre wieder, die sicherlich bedeutend älter sind als sein Werk. Jedenfalls werden hier Begriffe definiert, welche auch für spätere Diskussionen der arabischen Philosophie bedeutend sein werden. Das allgemeinste Konzept lautet für die Muʿtaziliten „etwas“ und umfasst alles „Existierende“ und „Nicht-Existierende“. Mit dieser Unterscheidung gewinnt das Wort mawğūd die Bedeutung von etwas, was nicht nicht ist, d.h. was vorhanden ist bzw. „existiert“. Es hat daher eine andere Bedeutung als der Begriff ḥaqīqa, der abgeleitet ist vom Verb ḥaqqa „wahr sein“. Er bezeichnet eher, was etwas ist, und wird deswegen hier mit „Wesen“ übersetzt. Da dasjenige ,etwas‘, das ein Wesen besitzt, aber sowohl sein als auch nicht sein kann, ist das mit mawğūd bezeichnete Existieren damit nicht gemeint. Insofern ist in diesen Definitionen die Unterscheidung der Existenz von der Essenz von etwas schon enthalten, die später namentlich bei Ibn Sīnā genauer ausgearbeitet werden wird (Zitat Nummer 86). Weitere grundlegende Unterscheidungen betreffen diejenige vom Neuentstanden-Sein zum Ewig-Sein, die an ältere griechische Unterscheidungen erinnert, sowie die Definitionen von „Substanz“ und „Akzidenzien“, bei der die Muʿtaziliten die Substanz (ǧawhar) als ein Atom verstehen – um so das Bild einer Welt mit vielen Einzelgegenständen zu entwerfen, die Gott frei verändern kann.

Themen:

  • Judentum und Islam
  • Muʿtaziliten
  • Begriffe
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Atome
  • Essenz
  • Existenz
  • Kalām

[1] Die Definition eines Begriffes und sein Wesen (ḥaqīqa) beziehen sich auf dasselbe. Somit lautet die Definition von ,etwas‘ (šayy): ,das, was man wissen kann und worüber man eine Aussage treffen kann‘. Es macht also keinen Unterschied, ob wir sagen ,etwas‘ oder ,Gegenstand des Wissens‘. In der Sprache der Mutakallimūn lautet dies ,an-sich‘ (ḏāt). [...]
[2] Das ,etwas‘ teilt sich in das ,existierende‘ (mawǧūd) und das ,nicht existierende‘ (maʿdūm). [...] Und das ,Existierende‘ teilt sich in die zwei Teile ,ewig‘ und ,neu entstanden‘ (muḥdaṯ). Das ,Ewige‘ ist das, dessen Existenz keinen Anfang hat, das Neu-Entstandene hingegen dasjenige, dessen Existenz einen Anfang hat. [...] Das ,Neu-Entstandene‘ unterteilt sich in Atome (ǧawhar) und Akzidenzien. [...] Wo immer sich ein Atom befindet, besetzt es eine Position im Raum.

Übersetzer: Abel, leicht geändert von Matthias Perkams