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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen XVII § 1 (p. 166 Marmura)

Original:

Al-Ġazālī begründet seine Zweifel am Konzept der Kausalität mit der Möglichkeit eines alternativen Modells
(1) الاقتران بين ما يعتقد في العادة سببا وما يعتقد مسببّا ليس ضرورياً عندنا، بل كب شيئن، ليس هذا ذاك وليس ذاك هذا، ولا اثبات أحدهما متضمّن لاثبات الآخر، ولا نفيه متضمّن لنفي الآخر، فليس من ضرورة وجود احدهما وجود الآخر، ولا من ضرورة عدم أحدهما عدم الآخر. ...
(2) وإن اقترانها لما سبق من تقدير الله سبحانه يخلقها على التساوق، لا لكونه ضروريّا في نفسه، غير قابل للفرق. بل في المقدور خلق الشبع دون الأكل، وخلق الموت دون جزّ الرقبة، وادامة الحيوة مع جزّ الرقبة. وهلمّ جرّا إلى جميع المقترنات. وأنكر الفلاسفة امكانه وأدعوا استحالته.


Quelle: Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen /Tahāfut al-falāsifa XVII § 1 (p. 166 Marmura).
Edition: Al-Ghazālī, The incoherence of the philosophers. Tahāfut al-falāsifa. A parallel English-Arabic text transl., introd., and annotated by Michael E. Marmura, Provo (Utah) [2009].

Auslegung:

Hier wird die Argumentation gegen eine notwendige Verknüpfung von Ursache und Wirkung fortgeführt, die al-Ġazālī in Zitat Nummer 459 an der Unmöglichkeit festgemacht hatte, von zwei miteinander verbundenen Beobachtungen auf deren kausalen Zusammenhang zu schließen. Hier gibt er zunächst in [1] eine theoretische Erklärung seines Standpunktes: Er hebt vor allem darauf ab, dass Kausalität unter nicht identischen, aber miteinander kompatiblen Dingen nicht notwendig ist. Daher kann sie nicht als Ausgangspunkt einer auf Notwendigkeit fokussierten philosophischen Argumentation bieten, wie die Philosophen sie anstreben (vgl. Zitate Nummer 439 und 457). Der Zweck von [2] besteht vor allem darin, eine alternative Theorie zur Annahme einer kausalen Verknüpfung zu bieten. Denn wenn es eine Alternative zur Annahme von Kausalität gibt, dann ist diese Annahme nicht notwendig. Ob al-Ġazālī die hier dargestellte Theorie einer göttlichen Allmacht, die alle kausalen Verknüpfungen zwischen Einzeldingen erst herstellt, tatsächlich teilt, ist deswegen nicht klar. Denn der Zweck der Inkohärenz der Philosophen besteht ja vor allem darin, deren Unzulänglichkeit darzustellen, nicht aber, eigene Theorien aufzustellen. Es handelt sich jedoch um Annahmen, die von al-Ġazālī und seinem Umfeld diskutiert wurden. Ähnliche Ansätze gab es auch im lateinischen Mittelalter (vgl. Zitat Nummer 112).

Themen:

  • Judentum und Islam
  • Kausalität
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Allmacht Gottes
  • Gott
  • Notwendigkeit

[1] Nach unserer Meinung ist die Verknüpfung (al-iqtirān) zwischen dem, was man gewöhnlich (fī l-ʿāda) für eine Ursache hält, und dem, was man für eine Wirkung hält, nicht notwendig (ḍarūrī). Vielmehr folgt bei zwei Dingen, die nicht miteinander identisch sind und bei denen die Annahme bzw. Bestreitung des einen nicht die Annahme bzw. Bestreitung des anderen einschließt, niemals mit Notwendigkeit (ḍarūra) aus der Existenz des einen die Existenz des anderen bzw. die Nicht-Existenz des einen mit Notwendigkeit aus der Nicht-Existenz des anderen. [...]
[2] Ihre Verknüpfung kommt zustande, weil Gott – erhaben ist er! – sie aufgrund seiner vorherigen Bestimmung in einer Aufeinanderfolge (ʿalā l-tasāwuq) erschafft, nicht deswegen, weil sie aus sich heraus notwendig und unauflöslich wäre (li-kawnihi ḍarūrīyan fī nafsihi ġayra qābilin li-l-farq). Vielmehr steht es in [Gottes] Macht, die Sattheit ohne das Essen zu schaffen, den Eintritt des Todes ohne einen tiefen Schnitt im Nacken zu erschaffen und das Leben [eines Menschen] trotz dieses tiefen Schnitts andauern zu lassen; das gilt für sämtliche Dinge, die miteinander verknüpft sind. Die falāsifa verneinen diese Möglichkeit und behaupten dies sei unmöglich.


Übersetzer: U. Rudolph