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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen I § 67-70 (p. 28 Marmura)

Original:

Philosophen leiten die Ewigkeit der Welt aus der Ewigkeit Gottes ab, und al-Ġazālī widerlegt dies
فإن قيل:
نحن لا نبعد صدور حادث من قديم، أي حادث كان، بل نبعد صدورحادث هو أوّل الحادث من القديم. ...
قلنا:
فالسؤال في حصول الاستعداد وحضور الوقت وكل ما يتجدّد قائم. فإما أن يتسلسل إلى غير نهاية، أو ينتهي إلى قديم يكون أوّل حادث منه.


Quelle: Al-Ġazālī : Die Inkohärenz der Philosophen /Tahāfut al-falāsifa I § 67-70 (p. 28 Marmura).
Edition: Al-Ghazālī, The incoherence of the philosophers. Tahāfut al-falāsifa. A parallel English-Arabic text transl., introd., and annotated by Michael E. Marmura, Provo (Utah) [2009].

Auslegung:

Dieser Text, die Fortführung von Zitat Nummer 460, verbindet das dort genannte Problem mit einer Kernannahme der Philosophie Ibn Sīnās, nämlich der neuplatonischen Annahme, dass Kausalität stufenweise bzw. in einem längeren Prozess erfolgt („Emanation“): Aus der ersten Ursache entsteht demnach nicht direkt die kontingente Welt, sondern zuerst ein zweites Prinzip, das ebenfalls ewig ist, daraus wieder ein drittes, usw. Im Laufe dieses Prozesses werden die Notwendigkeit und Ewigkeit der ersten Ursache nach und nach abgeschwächt, so dass letztlich ein Übergang zu Kontingenz und Zeitlichkeit stattfindet. Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist Plotins Hypostasenlehre, wo aus dem Einen zunächst der ewige Geist hervorgeht, dann die ewige Seele, die aber doch bereits Zeitlichkeit enthält, und schließlich die ewige Körperwelt. Ibn Sīnā vertritt ein strukturell ähnliches Modell (Zitat Nummer 455 [2]), mit dem er erklärt, wie etwas Neues indirekt aus etwas Ewigem entsteht (vgl. Zitat Nummer 460). – Al-Ġazālī vertritt demgegenüber ein Schöpfungsmodell, bei dem Gott direkt die zeitliche Welt hervorbringt. Daher sagt er am Ende: Egal, was die Avicennisten bzw. „Philosophen“ sagen: Am Ende müssen sie den kategorialen Übergang von Notwendigkeit zu Kontingenz und von Ewigkeit zu Zeitlichkeit erklären. Da beide Gegensatzpaare kategorial unterschieden sind, ist jedoch unklar, wie hier ein Übergang möglich sein soll. Auch al-Ġazālī liefert hier keine Erklärung, sondern er legt einfach dar, dass das Modell Ibn Sīnās eigentlich keine Erklärung liefert und daher das Problem nicht löst (vgl. Zitat Nummer 457 [2]). – Im Hintergrund der Debatte stehen grundsätzlich unterschiedliche Denkmodelle, da Al-Ġazālī grundsätzlich die Idee eines stufenweisen Übergangs zwischen kategorial verschiedenen Seinseigenschaften ablehnt, wie er im Neuplatonismus angenommen wird. Strukturell ähnelt sein Vorgehen dabei dem des Johannes Duns Scotus, ohne dass eine historische Verbindung zwischen beiden bestünde (Zitat Nummer 112).

Themen:

  • Ewigkeit der Welt
  • Judentum und Islam
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Avicenna
  • Emanation (Hervorgehen)
  • Kausalität
  • Neuplatonismus
  • Schöpfung

Wenn sie sagen, [Gegenargument der Philosophen:] "Wir bestreiten nicht das Hervorgehen von irgendetwas neu Entstehendem aus etwas Ewigem, sondern wir bestreiten das Hervorgehen von etwas neu Entstehendem, das ein erstes neu Entstehendes ist, aus etwas Ewigem." [...],
dann sagen wir:
[Neue Entgegnung al-Ġazālīs]: "Die Frage nach dem Vorhandensein einer Vorbereitung und der Gegebenheit von Zeit und nach all dem, was sich erneuert, bleibt. Entweder geht die Verkettung bis ins Unendliche weiter, oder sie endet bei etwas Ewigem, aus dem ein erstes neu Entstehendes entsteht."


Übersetzer: Matthias Perkams