Original:
Avicennas Gottesbeweis aus der Notwendigkeit und al-Ġazālīs Kritik daran
(1) إن قيل:
البرهان القاطع على استحالة علل إلى غير نهاية أن يقال: كلّ واحد من واحد من آحاد العلل ممكنة في نفسها أو واجبة، فإن كانت واجبة، فلم تفتقر إلى علتة، وإن كانت ممكنة، فالكلّ موصوف بالامكان. وكلّ ممكن فيفتقر إلى علّة زائدة على ذاته، فيفتقر الكلّ إلى علّة خارجة عنها،
(2) قلنا:
لفظ الممكن والواجب لفظ مبهم، إلا أن يراد بالواجب ما لا علّة لوجوده ويراد بالممكن ما لوجوده علّة. وإن كان المراد هذا، فلنرجع إلى هذه اللفظة فنقول كلّ واحد ممكن على معنى أن له علّة زائدة على ذاته، والكلّ ليس بممكن، على معنى أنه ليس له علّة زائدة على ذاته خارجة منه. وإن أُريد بلفظ الممكن غير ما أردناه فهو ليم بمفهم.
Quelle:
Al-Ġazālī :
Die Inkohärenz der Philosophen
/
Tahāfut al-falāsifa
IV § 15-20 (p. 81f. Marmura).
Edition: Al-Ghazālī, The incoherence of the philosophers. Tahāfut al-falāsifa. A parallel English-Arabic text transl., introd., and annotated by Michael E. Marmura, Provo (Utah) [2009].
Auslegung:
Diese Auseinandersetzung al-Ġazālīs mit Ibn Sīnās Gottesbeweis geht von dessen Charakterisierung der Begriffe ,notwendig‘ und ,möglich‘ aus (Zitat Nummer 87 und 454). Al-Ġazālī geht, wohl zu Recht, davon aus, dass Ibn Sīnās Begrifflichkeit letztlich darauf abzielt, einen Beweis für Gott als das schlechthin notwendige Seiende zu liefern. Hierzu wirft er Ibn Sīnā vor, nicht klar definierbare Begriffe zu verwenden und daher in einen Zirkelschluss zu geraten: De facto verstehe Ibn Sīnā ,notwendig‘ als ,etwas, das keine Ursache für sein Dasein benötigt‘ und ,möglich‘ als ,etwas, das eine Ursache für sein Dasein benötigt‘. Er behaupte dann eigentlich nur: „Etwas, das eine Ursache für sein Dasein benötigt, benötigt etwas, das keine Ursache für sein Dasein benötigt‘ – was eine bloße Behauptung bleibt. Man könne allenfalls sagen: Während alle Einzeldinge in diesem Sinne ,möglich‘ sind, ist das All, in dem sie existieren müssen in diesem Sinn ,notwendig‘, weil es keine Ursache hat. Unter [2] antworten die Avicennisten: Das würde heißen, dass das notwendige All, das ja aus möglichen Einzeldingen besteht, diese voraussetzte, und das sei absurd. Al-Ġazālī lässt aber genau diesen Gedanken zu, denn: Man kann nicht daraus, dass jedes Einzelding eine Ursache braucht, folgern, dass das All, das hieraus besteht, eine Ursache braucht. Damit stellt er letztlich den kosmologischen Gottesbeweis infrage, weil das All als Ganzes letztlich keine göttliche Ursache braucht. – Die Darstellung der Position Ibn Sīnās in diesem Text ist nicht ganz fair, denn Ibn Sīnā geht ja gerade von der Undefinierbarkeit von ,notwendig‘ und ,möglich‘ aus und folgert dann, ,notwendig‘ müsse der prioritäre Begriff sein (Zitat Nummer 87). Demgegenüber fordert al-Ġazālī eine normale Definition für diese Begriffe. Das Endargument ist allerdings recht stark, denn es behauptet: Man kann nicht daraus, dass eine Aussage wie ,x braucht eine Ursache‘ für alle Einzeldinge gilt, nicht folgern, dass sie auch für deren Gesamtheit, also das All, gilt. Demnach ist unklar, ob das All eine Ursache braucht, und man braucht deswegen nicht notwendig einen göttlichen Schöpfergott anzunehmen. Daher ist der kosmologische Gottesbeweis nicht notwendig.
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