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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Rušd (Averroes): Die Inkohärenz der Inkohärenz Naturw. I (p. 519. 522 Bouyges)

Original:

Averroesʼ Zurückweisung von al-Ġazālīs Kritik an der Kausalität
أما انكار وجود الأسباب الفاعلة التي تساهد في المحسوسات فقول سفسطاني، ... فمَن رفع الأسباب فقد رفع العقل. وصناعة المنطق تضع وضعاً أن ههنا أسباباً ومسبوبات والمعرفة بتلك المسببات لا بكون على التمّ إلا بمعرفة أسبابها، فرفع هذه الأشياء هو مبطل للعلم ورفع له، فإنه يلزم ألا يكون ههنا شيء معلوم أصلاً علماً حقيقيّاً بل إن كان فمظنون ولا نكون ههنا برهان ولا حد أصلاً.


Quelle: Ibn Rušd (Averroes): Die Inkohärenz der Inkohärenz /Tahāfut at-tahāfut Naturw. I (p. 519. 522 Bouyges).
Edition: N.N.

Auslegung:

Dieser Text wendet sich gegen al- Ġazālīs fundamentale Kritik am Konzept der Kausalität (Zitate Nummer 458 und 459). Auf al-Ġazālīs These, aus einer Sinneswahrnehmung lasse sich nicht die Behauptung ableiten, es gebe kausale Verknüpfungen, antwortet Ibn Rušd, ohne diese Annahme sei Wissenschaft überhaupt nicht möglich. Denn jeder logische Schluss könne nur wahr sein, wenn es Kausalität gebe. Diese Behauptung ist vor dem Hintergrund einer Korrespondenztheorie zu verstehen: Ein Schluss, der aus Prämissen eine Folgerung ableitet, kann nur wahr sein, wenn es ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis auch in der Wirklichkeit gibt, und das wäre ein Kausalitätsverhältnis. In dieser Hinsicht garantiert Kausalität die Möglichkeit von Wissenschaft. – Die letzten Sätze des Textes zeigen, dass Ibn Rušd abgesehen von der Korrespondenztheorie noch eine weitere Voraussetzung zugrunde legt: Philosophie muss ihm zufolge eine beweisende Wissenschaft sein, die sichere Erkenntnisse hervorbringt, und nicht nur ein Vorgehen, das Meinungen produziert. In beiden Punkten folgt Averroes also der von al-Fārābī zugrundegelegten wissenschaftstheoretischen Position der falāsifa, der Philosophen im Islam:
a) Wahre Philosophie ist eine apodeiktische, beweisende Wissenschaft (Zitate Nummer 401 und 438);
b) Diese Philosophie kann die ganze Wirklichkeit in ihren Kausalitätsverhältnissen abbilden (Zitat Nummer 439).
Ibn Rušd hat sicherlich darin recht, dass eine solche Herangehensweise unter den von al-Ġazālī formulierten Kritiken zusammenbrechen müsste. Allerdings ist das ja genau das, was dieser mit seiner Kritik erreichen will. So verstanden, wäre Ibn Rušds Kritik zirkulär. Ein besseres Verständnis eröffnet sich dann, wenn man einen etwas offeneren Wissenschaftsbegriff formuliert, als Ibn Rušd selbst es hier tut: Kann es überhaupt noch eine Wissenschaft geben, die Hypothesen mit einem Wahrheitsanspruch formulieren kann, wenn man nicht wesentlich grundlegend annimmt, dass innerweltliche Prozesse kausal verbunden sind? Hier kann man in der Tat mit guten Gründen Zweifel haben, ob al-Ġazālīs (und später Hume’s) Kritik nicht zu weit geht. Eine Erklärung, warum sie nicht richtig sein kann, wäre dann aber immer noch zu liefern, so wie das z.B. Kant versucht.

Themen:

  • Judentum und Islam
  • Al-Ġazālī
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Kausalität
  • Logik
  • Wissenschaft(stheorie)

Was die Bestreitung der Wirkursachen betrifft, die im sinnlich Wahrnehmbaren beobachtet werden, so ist dies eine sophistische Rede (qawl sufisṭānī). [...] Wer die Ursachen aufhebt, der hat den Intellekt aufgehoben. Die Fertigkeit der Logik hat zur Voraussetzung, dass es hier Ursachen und Verursachtes gibt und dass es Erkenntnis von diesem Verursachten in vollkommener Weise nur durch die Erkenntnis ihrer Ursachen gibt. Die Aufhebung dieser Dinge vernichtet die Wissenschaft, und hebt sie auf. Und dies bedeutet notwendigerweise, dass es hier überhaupt nichts in wahrhafter Weise Gewusstes (maʿlūm ʿilman ḥaqīqīyan) geben kann, sondern wenn etwas gibt, so wird es gemeint (maṯnūn), und es gibt hier keinen Beweis (burhān) und überhaupt keine Definition.


Übersetzer: Matthias Perkams