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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat XIV (p. 443 = Erstdruck p. 165f.)

Original:

Spinoza formuliert die Grundlagen seiner Position zum Verhältnis von Philosophie und Religion
[1] Superest jam, ut tandem ostendam inter fidem, sive theologiam, et philosophiam nullum esse commercium nullamve affinitatem quod jam nemo potest ignorare, qui harum duarum facultatum et scopum et fundamentum novit, quae sane toto coelo discrepant: Philosophiae enim scopus nihil est praeter veritatem: fidei autem [...] nihil praeter obedientiam et pietatem.
[2] Deinde philosophiae fundamenta notiones communes sunt, et ipsa ex sola natura peti debent: fidei autem historiae et lingua, et ex sola Scriptura et revelatione petenda. [...]
[3] Fides igitur summam unicuique libertatem ad philosophandum concedit, ut quicquid velit, de rebus quibuscumque sine scelere sentire possit, et eos tanquam haereticos et schismaticos damnat, qui opiniones docent ad contumacium, odia, contentiones et iram suadendum: et eos contra fideles tantum habet, qui justitiam et charitatem [...] suadent.

Quelle: Spinoza, Baruch de: Theologisch-politischer Traktat /Tractatus theologico-politicus XIV (p. 443 = Erstdruck p. 165f.).
Edition: Spinoza, Baruch de. Tractatus Theologico-politicus/Theologisch-politischer Traktat. Herausgegeben von G. Gawlick und F. Niewöhner. 2., unveränd. Aufl. Darmstadt: WBG 1989 (= Opera. lateinisch und deutsch, Band 1).

Auslegung:

Der jüdische Philosoph Baruch (Benedikt) de Spinoza stellt zu Beginn der Neuzeit die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Religion bzw. Theologie erneut. Während die Philosophie als Wahrheitssuche aus allgemeinen Begriffen charakterisiert ist, ist die Religion stark vom Gehorsam geprägt und geht auf heilige Schriften zurück; eine Wahrheitssuche scheint ihr nicht zugestanden zu werden. Hinter diesen Formulierungen kann man Anklänge an al-Fārābīs Position erkennen, die Religion diene der Verbreitung philosophischer Meinungen mit Rhetorik und Poetik (Zitat Nummer 401). Allerdings zeigt Spinoza, entsprechend der westlichen Tradition seit Abaelard (Zitat Nummer 686) ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung von Schriften für die Religion, die die Philosophie so nicht hat. Andererseits deutet die Aussage, die Religion verbiete das Philosophieren nicht, wieder auf arabische Quellen hin, namentlich auf Maimonides, wo das Philosophieren als die höchste Form jüdischer Religionsausübung erscheint (Zitat Nummer 482). Insofern zeigt das Zitat schön einen Entwicklungsschritt von älteren Vorstellungen zu modernen Verhältnisbestimmungen von Philosophie und Religion.

Themen:

  • Judentum und Islam
  • Philosophie und Religion
  • Freiheit (Vorlesung)
  • Auslegung (autoritativer Schriften)

[1] Übrig ist noch, dass ich schließlich zeige, dass zwischen Glauben bzw. Theologie und Philosophie keine Verbindung und keine Nähe besteht, was ja niemand übersehen kann, der die Zielrichtung und das Fundament dieser beiden Vermögen kennt, welche sich gewiss himmelweit unterscheiden: Die Zielrichtung der Philosophie ist nämlich nichts als die Wahrheit; die des Glaubens aber [...] nichts als Gehorsam und Frömmigkeit.
[2] Ferner sind die Grundlagen der Philosophie die allgemeinen Begriffe, und diese müssen aus der Natur alleine gesucht werden; die des Glaubens sind aber die Erzählungen und die Sprache, und müssen allein aus der Schrift und der Offenbarung gesucht werden. [...]
[3] Der Glaube gesteht also jedem Einzelnen die höchste Freiheit zum Philosophieren zu, so dass er ohne Verfehlung über alle beliebigen Dinge meinen kann, was immer will; und sie verurteilt die als Häretiker und Schismatiker, welche Ansichten lehren, um zur Hartnäckigkeit, zum Hass, zu Streit und zu Zorn zu raten; und im Gegenteil hält sie nur die für Gläubige, die zu Gerechtigkeit und Liebe [...] raten.


Übersetzer: Matthias Perkams