Original:
Spinoza über die beiden grundsätzlichen Irrtümer beim Vergleich von Philosophie und Glauben
Qui igitur ipsam [Scripturam] ad philosophiam accommodare vult, is sane prophetis multa, quae ne per somnium cogitarunt, affinget et perperam eorum mentem interpretabitur. Qui autem contra rationem et philosophiam theologiae ancillam facit, is antiqui vulgi praejudicia tanquam res divinas tenetur admittere et iisdem mentem occupare et obcaecare; adeoque uterque, hic scilicet sine ratione, ille vero cum ratione insaniet.
Quelle:
Spinoza, Baruch de:
Theologisch-politischer Traktat
/
Tractatus theologico-politicus
XV (p. 444f. = Erstdruck p. 166f.).
Edition: Spinoza, Baruch de. Tractatus Theologico-politicus/Theologisch-politischer Traktat. Herausgegeben von G. Gawlick und F. Niewöhner. 2., unveränd. Aufl. Darmstadt: WBG 1989 (= Opera. lateinisch und deutsch, Band 1).
Auslegung:
Aufgrund seiner allgemeinen Überzeugungen zum Verhältnis von Philosophie und Religion (vgl. Zitat Nummer 487) identifiziert Spinoza im Denken seiner Zeit (und der Zeit davor) zwei grundsätzliche Irrtümer in Bezug auf das Verhältnis von Philosophie und Glauben. Er lehnt sowohl die Meinung ab, heilige Schriften müssten der Philosophie gemäß ausgelegt werden, als auch diejenige, sie sei eine Magd der Theologie (vgl. Zitat Nummer 52). Während der erste Punkt wiederum die Auseinandersetzungen der arabischen Welt spiegeln könnte (vgl. Averroes in Zitat Nummer 349), geht der zweite auf die scholastische Tradition, die Spinoza offenbar noch als lebendige kennt. Jedenfalls bereiten seine klaren Aussagen eine klare Differenzierung von Religion und Philosophie vor, die sich in der Neuzeit erst langsam durchsetzt.
Themen:
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Judentum und Islam
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Philosophie und Glaube
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Freiheit (Vorlesung)
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Auslegung (autoritativer Schriften)
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Äußerer/wörtlicher Schriftsinn
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Bibel und Philosophie
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Magd der Theologie (Philosophie als)
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Philosophie und Religion