Original:
Moses Mendelssohn widerspricht jedem Zwansgsanspruch der Religion
Der Staat, oder die den Staat vorstellen, werden als eine moralische Person betrachtet, die über diese Rechte zu schalten hat. Der Staat hat also Recht und Gerechtsame auf Güter und Handlungen der Menschen. [...] Nicht also die Kirche! Sie beruhet auf dem Verhältnisse zwischen Gott und Menschen. [...] Gott bedarf unseres Beystandes nicht. [...] Seine Rechte können mit den Unsrigen nie in Streit [...] kommen. [...] Alle menschliche Verträge haben also der Kirche kein Recht auf Gut und Eigentum beylegen können, da sie ihrem Wesen nach auf keins derselben Anspruch machen [...] kann. Ihr kann also niemals ein Zwangsrecht zukommen, und den Mitgliedern kann keine Zwangspflicht gegen dieselbe auferlegt werden. [...] Dieses sind, meinem Bedünken nach, die Gränzen zwischen Staat und Kirche, in so weit sie auf die Handlungen der Menschen Einfluß haben.
Quelle:
Mendelssohn, Moses:
Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum
(Auszüge aus p. 150-152 = p. 58-64; II Bd. 8, 127-130).
Edition: Mendelssohn, Moses. Schriften zu Aufklärung und zum Judentum 1770-1786. Herausgegeben und eingeleitet von C. Schulte, A. Kennecke und G. Jurewicz. Darmstadt: WBG 2009 (= Studienausgabe Band II).
Auslegung:
In seiner Jerusalem-Schrift unternimmt Mendelssohn eine grundlegende Verhältnisbestimmung von jüdischer Religion und Staat. In diesem Text unterscheidet er, vermutlich inspiriert von Spinoza (Zitat Nummer 490), die Ansprüche, die der Staat an Einzelne stellen kann, klar von den Ansprüchen der Religion bzw. „Kirche“. Diese wird einer ganz anderen, politisch nicht-relevanten Sphäre zugeordnet als der Staat und kann daher keine Ansprüche auf politischer Ebene erheben. Mit solchen Aussagen bereitet Mendelssohn aus jüdischer Perspektive die moderne Trennung von Kirche und Staat vor, die seit seiner Zeit langsam realisiert wurde und Nachteile beseitigte, welche den Juden bis dahin zukamen.
Themen:
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Judentum und Islam
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Monotheistische Religionen
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Staat
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Zwang
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Individuum und Staat
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Staat und Religion