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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 177-178 = 2. Abschnitt, p. 49-52; II Bd. 8, 165-166)

Original:

Mendelssohn führt seine rationale Erklärung der jüdischen Religion näher aus
[1] Das Judentum rühmt sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahrheiten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind. [...] Ein anderes ist geoffenbarte Religion; ein anderes geoffenbarte Gesetzgebung. Die Stimme, die sich an jenem großen Tage, auf Sinai hören ließ, rief nicht: "Ich bin der Ewige, Dein Gott! Das nothwendige, selbständige Wesen, das allmächtig ist und allwissend, das den Menschen in einem zukünftigen Leben vergilt, nach ihrem Thun." Dieses ist allgemeine Menschenreligion, nicht Judentum. [...]
[2] Nein! alles dieses ward vorausgesetzt, ward vielleicht in den Vorbereitungstagen gelehrt, erörtert und durch menschliche ausser Zweifel gesetzt, und nun rief die göttliche Stimme: "Ich bin der Ewige, dein Gott! der dich aus dem Lande Mizraim [= Ägypten] geführt, aus der Sklaverey befreit hat u. s. w." Eine Geschichtswahrheit, auf die sich die Gesetzgebung dieses Volks gründen sollte, und Gesetze sollten hier offenbaret werden; Gebote, Verordnungen, keine ewige Religionswahrheiten. [...]
[3] Wunder und ausserordentliche Zeichen sind nach dem Judentume, keine Beweismittel für oder wider ewige Vernunftwahrheiten. [...] Alle Zeugnisse und Autoritäten können keine ausgemachte Vernunftwahrheit umstoßen.

Quelle: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder ueber religioese Macht und Judentum (Auszüge aus p. 177-178 = 2. Abschnitt, p. 49-52; II Bd. 8, 165-166).
Edition: Mendelssohn, Moses. Schriften zu Aufklärung und zum Judentum 1770-1786. Herausgegeben und eingeleitet von C. Schulte, A. Kennecke und G. Jurewicz. Darmstadt: WBG 2009 (= Studienausgabe Band II).

Auslegung:

Hier geht Moses Mendelssohn, nach seiner Darstellung allgemeiner Wahrheiten (Zitate Nummer 493 und 494), nun näher auf Spezifika der jüdischen Religion ein. Die monotheistische Grundüberzeugung, dass es nur einen Gott gibt, bezeichnet er dabei als „allgemeine Menschenreligion“, d.h. eine Überzeugung, die alle rationalen Menschen einsehen können. Das ist ein sehr alter Topos, der sich zuerst beim Vorsokratiker Xenophanes (Zitat Nummer 502) und dann z.B. in Peter Abaelards Vergleichsgesprächen (Zitat Nummer 686) findet. – Als spezifisch für das Judentum gilt Mendelssohn hingegen die Gesetzgebung, die sich letztlich auf die Geschichtswahrheit des biblischen Auszugs aus Ägypten bezieht. Damit führt Mendelssohn, in der Nachfolge von Maimonides (Zitat Nummer 351) die Idee weiter aus, dass auch bestimmte historische Situationen, und nicht nur ewige Wahrheiten, religiöse Überzeugungen rechtfertigen können. Wundern hingegen, deren außerordentlicher Charakter in der Moderne hinterfragt wurde, misst Maimonides keine besondere Bedeutung für das Judentum bei. Man kann diskutieren, inwieweit er dabei älteren Rationalisierungen des Wunderbegriffs (vgl. Zitat Nummer 399) folgt.

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