Original:
Plotin erklärt die Natur des Einen
a) Τί ἂν οὖν εἴη τὸ ἓν καί τίνα φύσιν ἔχον; [...] ἐκεῖνο δὲ οὔ τι, ἀλλὰ πρὸ ἑκάστου, οὐδὲ ὄν· καὶ γὰρ τὸ ὂν οἷον μορφὴν τὴν τοῦ ὄντος ἔχει, ἄμορφον δὲ ἐκεῖνο καὶ μορφὴς νοητὴς. γεννητικὴ γὰρ ἡ τοῦ ἑνὸς φύσις οὖσα τῶν πάντων οὐδέν ἐστιν αὐτῶν [...], αὐτὸ καθ᾿ αὑτὸ μονοειδές, μᾶλλον δὲ ἀνείδεον πρὸ εἴδους ὂν παντὸς, προ κινήσεως, πρὸ στάσεως· [...]
b) διὰ τί οὖν, εἰ μὴ κινούμενον, οὐχ ἑστώς; ὅτι περὶ μὲν τὸ ὂν τούτων θάτερον ἢ ἀμφότερα ἀνάγκη. [...]
c) ἀλλ᾿ ἔστιν ἡμῖν γνῶσις εἴδεσιν ἐπερειδομένη. ὅσῳ δ᾿ ἂν εἰς ἀνείδεον ἡ ψυχὴ ἴῃ, ἐξαδυνατοῦσα περιλαβεῖν τῷ μὴ ὁρίζεσθαι καὶ οἷον τυποῦσθαι ὑπὸ ποικίλου τοῦ τυποῦνος ἐξολισθάνει καὶ φοβεῖται, μὴ οὐδὲν ἔχῃ.
Quelle:
Plotin:
Enneade
/
Enneade
(
enn.)
VI 9 [9], 3, 1. 37-47. 3-6.
Edition: Edition: Plotini Opera. Ediderunt P. Henry / H.-R. Schwyzer. Tomus 1: Porphyrii vita Plotini. Enneades I–III, Oxford 1964, S. 1–38.
Auslegung:
Dieser Text stellt, ebenso wie Zitat Nummer 265, eine Reflexion auf das Eine dar, wie sie Plotin besonders in seiner
Enneade 6, 9 vollzieht, aus der beide Zitate stammen. In diesem Zitat wird unter a) zunächst erklärt, warum das Eine nicht korrekterweise seiend genannt werden kann. Das liegt daran, dass Eine gar nichts Bestimmtes ist, d.h. es ist nicht etwas. Im antiken Denken wird aber das Wort „sein“ fast immer im Sinne von „etwas Bestimmtes sein“ verstanden (eine andere, äquivalente Formulierung in unserem Text ist „eine Gestalt haben“), und in dem Sinne ist das Eine tatsächlich nichts, sondern vielmehr die Spitze von allem Bestimmten, das selbst aber nichts Bestimmtes mehr ist. Trotzdem ist Plotin überzeugt, dass wir ein solches transzendentes Eines jenseits des Seins (eine Formulierung Platons: Zitat Nummer 10) annehmen müssen. Mit dieser Einsicht verbunden sind zwei weitere Annahmen: b) Man kann weder sagen, das Eine bewege sich, noch, es stehe still, weil dieser Gegensatz nur auf Seiendes anwenden kann. c) Das Eine ist für menschliche Erkenntnis unerkennbar, denn diese ist auf das Seiende bezogen und kann daher das Eine nicht erkennen. Denn wir erkennen Dinge anhand von Merkmalen; Merkmale setzen aber eine Vielheit voraus; eine Vielheit ist aber mit absoluter Einheit nicht vereinbar.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Philosophie Plotins durch solche Gedankengänge den Gedanken radikaler Transzendenz ins Denken einführt. Damit ergibt sich eine radikalere Leugnung der Erkennbarkeit „Gottes“ als bisher: Es ist nicht nur ein sprachliches Problem, dass wir über Gott nichts aussagen können, sondern es ist ein Problem des Seins als Ganzen, dessen transzendenter Ursprung uns nicht zugänglich ist.
Themen:
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Gott und die Welt
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Das Eine
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Antike Philosophie II
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Aufstieg (der Seele)
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Geist (Nous)
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Negative Theologie
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Neuplatonismus
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Transzendenz