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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat V 9

Original:

Augustinus (354-430) referiert Ciceros (106-44 v. Chr.) Meinung zum Problem von göttlicher Vorherbestimmung und Freiheit
[1] Cicero […] dei praescientiam negat et omnem prophetiam […] conatur evertere. […] Quid est quod Cicero timuit in praescientia futurorum […]? Videlicet quia, si praescita sunt omnia futura, hoc ordine venient, quo ventura esse praescita sunt; et si hoc ordine venient, certus est ordo rerum praescienti deo; et si certus est ordo rerum, certus est ordo causarum […].
[2] Hos Cicero ita redarguere nititur [...], ut neget esse scientiam futurorum [...] vel in homine vel in deo [...], videlicet quia, si praescita sunt omnia futura, hoc ordine venient, quo ventura esse praescita sunt [...].
[3] Quod si ita est, nihil est in nostra potestate nullumque est arbitrium voluntatis; quod si concedimus, inquit, omnis humana vita subvertitur, frustra leges dantur, frustra obiurgationes laudes, vituperationes exhortationes adhibentur, neque ulla iustitia bonis praemia et malis supplicia constituta sunt. […]
[4] Nos adversus istos sacrilegos ausus atque impios et deum dicimus omnia scire antequam fiant, et voluntate nos facere, quicquid a nobis non nisi volentibus fieri sentimus et novimus.

Quelle: Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat /De civitate dei V 9.
Edition: Edition: Augustinus, De civitate dei: Sancti Aurelii Augustini De civitate dei libri. Ad fidem quartae editio- nis Teubnerianae quam a. 1927–1928 curaverunt G. Dombart / A. Kalb paucis emendatis mutatis additis. Tomus 1–2 (CCL 47–48), Turnhout 1955.

Auslegung:

Aufgrund seiner empfundenen Übereinstimmung mit der Stoa (vgl. Zitat Nummer 611) setzt sich Augustinus hier mit Ciceros Kritik am stoischen Determinismus auseinander, die Augustinus zufolge vorwiegend darin besteht, dass jegliche Gesetze und überhaupt die Idee von Gerechtigkeit überflüssig werden, wenn menschliche Handlungsfreiheit aufgehoben wird. Dieser Vorwurf scheint auch Augustinus’ christliche Position zu treffen, denn auch er nimmt ja an, dass Gott den Lauf der Welt vorher geordnet hat, möchte aber zugleich am Gedanken der Verantwortung von Menschen für das eigene Handeln festhalten.

Themen:

  • Cicero
  • Freiheit
  • Vorherbestimmung
  • Apologetik
  • Determinismus
  • Schicksal (Fatum)
  • Vorsehung/Providenz

[1] Cicero […] bestreitet Gottes Vorwissen und versucht, jegliche Prophetie […] aufzuheben. Was ist es, was Cicero am Vorwissen des Künftigen fürchtete? […] Gewiss Folgendes: Wenn alles Zukünftige vorher gewusst wird, wird es in der Ordnung eintreffen, in der das Eintreffende vorhergewusst wurde; und wenn es in dieser Ordnung eintrifft, dann ist die Ordnung der Dinge für den vorherwissenden Gott sicher; und wenn die Ordnung der Dinge sicher ist, dann ist die Ordnung der Ursachen sicher […].
[2] Diese versucht Cicero so zu widerlegen [...], dass er bestreitet, dass es ein Vorwissen des Künftigen [...] entweder bei einem Menschen oder bei Gott gibt [...], weil nämlich alles Zukünftige dann, wenn es vorhergewusst wird, in der Ordnung kommen wird, in der vorhergewusst wird, dass es kommen wird. [...]
[3] Aber wenn das so ist, steht nichts in unserer Macht, und es gibt keine freie Entscheidung des Willens. Aber wenn wir das zugestehen, sagt er, wird das gesamte menschliche Leben aufgehoben, die Gesetze werden umsonst gegeben, umsonst wird Lob und Tadel, Kritik und Ermunterung angewandt, und aufgrund von keinerlei Gerechtigkeit wurden für die Guten Lohn und für die Schlechten Strafen festgelegt.
[4] Wir sagen, entgegen diesen gotteslästerlichen und schändlichen Kühnheiten, dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir durch den Willen all das tun, wovon wir fühlen und wissen, dass es von uns nicht anders als wollend getan wird.

Übersetzer: Matthias Perkams