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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Aristoteles: Nikomachische Ethik III 1, 1109b 35-10a 14

Original:

Aristoteles über Zwang und Unwissenheit als Gründe für die Unfreiwilligkeit von Handlungen
δοκεῖ δὴ ἀκούσια εἶναι τὰ βίᾳ ἢ δι’ ἄγνοιαν γινόμενα· βίαιον δὲ οὗ ἡ ἀρχὴ ἔξωθεν, τοιαύτη οὖσα ἐν ᾗ μηδὲν συμβάλλεται ὁ πράττων ἢ ὁ πάσχων, οἷον εἰ πνεῦμα κομίσαι ποι ἢ ἄνθρωποι κύριοι ὄντες.
ὅσα δὲ διὰ φόβον μειζόνων κακῶν πράττεται ἢ διὰ καλόν τι, οἷον εἰ τύραννος προστάττοι αἰσχρόν τι πρᾶξαι κύριος ὢν γονέων καὶ τέκνων, καὶ πράξαντος μὲν σῴζοιντο μὴ πράξαντος δ’ ἀποθνήσκοιεν, ἀμφισβήτησιν ἔχει πότερον ἀκούσιά ἐστιν ἢ ἑκούσια. τοιοῦτον δέ τι συμβαίνει καὶ περὶ τὰς ἐν τοῖς χειμῶσιν ἐκβολάς· ἁπλῶς μὲν γὰρ οὐδεὶς ἀποβάλλεται ἑκών, ἐπὶ σωτηρίᾳ δ’ αὑτοῦ καὶ τῶν λοιπῶν ἅπαντες οἱ νοῦν ἔχοντες. μικταὶ μὲν οὖν εἰσιν αἱ τοιαῦται πράξεις, ἐοίκασι δὲ μᾶλλον ἑκουσίοις· αἱρεταὶ γάρ εἰσι τότε ὅτε πράττονται, τὸ δὲ τέλος τῆς πράξεως κατὰ τὸν καιρόν ἐστιν.

Quelle: Aristoteles: Nikomachische Ethik /Ethica Nicomachea (EN) III 1, 1109b 35-10a 14.
Edition: N.N.

Auslegung:

- Ausschlusskriterien des hekon sind a) Gewalt und b) Unwissenheit
- damit rein phänomenologische Beschreibung dessen, was wir als entscheidend für Handlungen ansehen, die nicht vom Handelnden selbst ausgehen
- sie werden als Kriterium für dessen Selbstverursachung genommen, ohne dass über den Hintergrund dieser Selbstbestimmung etwas gesagt wäre
- Fortsetzung des Gedankens mit Zweifelsfällen, bei denen man äußere Umstände als Grundlage der eigenen Entscheidung nimmt
- Handlungen aus Furcht sind insofern gemischt, aber doch in gewissem Sinn hekon
→ hekon bedeutet also ähnlich wie das lateinische sponte so etwas wie aus eigenem Antrieb

Themen:

  • Freiheit
  • Unfreiwilligkeit
  • Antike Philosophie I

Nun scheint unfreiwillig das zu sein, was durch Zwang oder Unwissenheit geschieht. Erzwungen ist etwas, dessen Ursprung außerhalb liegt, das heißt so beschaffen ist, dass der Handelnde oder Erleidende gar nichts beiträgt, etwa wenn der Wind jemanden irgendwohin trägt oder Menschen, die die Herrschaft haben.
Alles aber, was aus Furcht vor größeren Übeln oder wegen etwas Werthaften getan wird – zum Beispiel, wenn ein Tyrann befiehlt, etwas Schändliches zu tun, und die Herrschaft über Eltern und Kinder hat, und diese würden bei Ausführung der Handlung gerettet, bei Nicht-Ausführung würden sie sterben –, ist es zweifelhaft, ob dies unfreiwillig oder freiwillig ist. Ähnliches gilt, wenn während Stürmen etwas über Bord geworfen wird. Denn ohne Grund wirft niemand freiwillig etwas weg; zur eigenen Rettung und der von Gefährten aber alle mit Verstand Begabten. Derartige Handlungen sind also gemischt, gleichen aber mehr freiwilligen. Denn dann, wenn sie ausgeführt werden, sind sie Gegenstand einer Wahl, das Ziel der Handlung entspricht aber dem Moment.

Übersetzer: frei nach U. Wolf