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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Die Seele 20, 1. 5; 21, 6

Original:

Tertullian ordnet die freie Entscheidung als Grundvermögen des Menschen ein
[1] Et hic itaque concludimus omnia naturalia animae ut substantiva eius ipsi inesse et cum ipsa procedere atque proficere, ex quo ipsa censetur. [...] Acuunt doctrinae disciplinae artes et experientiae negotia studia; obtundunt inscitiae ignaviae desidiae [...], super haec, si et aliquae praesunt potestates [....], secundum nos quidem deus dominus et diabolus aemulus, secundum communem autem opinionem providentia et fatum et necessitas et fortuna et arbitrii libertas. Nam haec et philosophi distinguunt [...].
[2] Non dabit enim arbor mala bonos fructus, si non inseratur, et bona malos dabit, si non colatur. [...] Haec erit vis divinae gratiae, potentior utique natura, habens in nobis subiacentem sibi liberam arbitrii potestatem, quod autexousion dicitur, quae cum sit et ipsa naturalis atque mutabilis, quoquo vertitur, natura convertitur.

Quelle: Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus: Die Seele /De anima 20, 1. 5; 21, 6.
Edition: Tertullianus, De anima: Quinti Septimi Florentis Tertulliani De anima. By J. H. Waszink, Leiden 1947.

Auslegung:

Der Kirchenvater Tertullian (um 200 n.Chr.) gilt zwar manchmal als Gegner der Philosophie, hat aber tatsächlich durchaus einige Kenntnisse auf diesem Gebiet. Das zeigt sich unter anderem daran, dass er, als frühester christlicher Autor, eine Monographie „Über die Seele“ schreibt, die zahlreiche philosophische Lehren erhält. Die vorliegende Stelle ist deswegen interessant, weil Tertullian hier die Freiheit des Menschen zur Wahl von Gutem und Bösem, die er auch sonst in den Mittelpunkt seines Denkens rückt (Zitat Nummer 600), anthropologisch begründet. Wenn er diese Freiheit zu einem eigenen Seelenvermögen erklärt und sie ein „freies Vermögen der Entscheidung“ (libera arbitrii potestas) nennt, dann prägt er die lateinische Terminologie für lange Jahrhunderte in dem Sinne, dass das menschliche Vermögen, zwischen Gut und Böse zu wählen, als freie Entscheidung bezeichnet wird. Damit gewinnt der Begriff der Freiheit zur Beschreibung der Entscheidungsfähigkeit, den bereits der Epikureer Lukrez erwähnt hatte, noch mehr an Bedeutung, wie sich daran zeigt, dass wir auch heute unsere Fähigkeit zur Entscheidung häufig „Freiheit“ nennen.

Themen:

  • Freiheit
  • Entscheidungsfreiheit
  • Christentum und Philosophie

[1] Und hier folgern wir daher, dass alles für die Seele Natürliche ihr wie etwas Substanzhaftes innewohnt und sich mit ihr fortentwickelt und voranschreitet, wodurch sie beurteilt wird. [...] Es schärfen sie die Lehren, die Disziplinen, die Fertigkeiten und Erfahrungen, die Geschäfte, die Studien; es stumpfen sie ab die Unwissenheiten, die Feigheiten, die Trägheiten [...], über diese hinaus, auch einige Vermögen, wenn es sie gibt [...], nämlich uns zufolge Gott der Herr und der Teufel, der Rivale, aber gemäß der allgemeinen Meinung Vorsehung und Schicksal und Notwendigkeit und Glück und Freiheit der Entscheidung. Denn dies unterscheiden auch die Philosophen [...].
[2] Denn der schlechte Baum wird keine guten Früchte geben, wenn er nicht eingepflanzt wird, und der gute wird schlechte geben, wenn er nicht gepflegt wird. [...] Dies wird die Kraft der göttlichen Gnade sein, gewiss eine mächtigere Natur, die in uns ein ihr unterliegendes freies Vermögen der Entscheidung besitzt, das αὐτεξούσιον (autexousion) genannt wird; weil dieses auch selbst natürlich und veränderlich ist, verwandelt sich die Natur dahin, wohin es sich auch nur wendet.

Übersetzer: Matthias Perkams