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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Irenaeus von Lyon : Gegen die Häresien 4, 37, 1. 4 (= frg. Graec. 21, l. 24-29)

Original:

Der christliche Apologet Irenaeus von Lyon (ca. 135-202) hält gegen den Dualisten Markion (ca. 85-160) die Freiheit des Menschen fest
[1] Illud autem quod ait ,quotiens volui colligere filios tuos et noluisti‘, veterem legem libertatis manifestavit, quia liberum eum deus fecit, ab initio habentem suam potestatem sicut et suam animam, ad utendum sententia dei voluntarie, et non coactum ab eo. [...]
[2] ἐπεὶ οἱ πάντες τῆς αὐτῆς εἰσι φύσεως, δυνάμενοί τε κατασχεῖν καὶ πρᾶξαι τὸ ἀγαθόν [...], διὰ τοῦτο ὁ Παῦλός φησιν· «Πάντα μοι ἔξεστιν, ἀλλ’ οὐ πάντα συμφέρει», τὸ ἐλεύθερον τοῦ ἀνθρώπου ἐξηγούμενος, διὸ πάντα ἔξεστιν, μὴ καταναγκάζοντος αὐτὸν τοῦ Θεοῦ, καὶ τὸ συμφέρον δείκνυσιν, ἵνα μὴ εἰς ἐπικάλυμμα κακίας καταχρησώμεθα τῇ ἐλευθερίᾳ, ἀσύμφερον γὰρ τοῦτό γε. Οὐχ ὁμοίως ἀγαπᾶται τὰ ἐκ τοῦ αὐτομάτου προσγινόμενα τοῖς μετὰ σπουδῆς εὑρισκομένοις.

Quelle: Irenaeus von Lyon : Gegen die Häresien /Adversus haereses (adv. haer.) 4, 37, 1. 4 (= frg. Graec. 21, l. 24-29).
Edition: Irenaeus, Adversus Haereses: Irénée de Lyon, ›Contre les hérésies‹. Édition critique par A. Rousseau / L. Doutreleau et al. (SC 264–264; 293–294; 210–211; 100, 1–2; 153–154), Paris 1965–1982.

Auslegung:

Dieser Text ist der wohl früheste Beleg für die Freiheitslehre, welche ab Ende des 2. Jahrhunderts christliche Autoren gegen den „Häretiker“ Markion, also einen (in ihren Augen) Abweichler vom Glauben verfassten (vgl. Zitat Nummer 599). Irenaeus (Eirenaios) von Lyon nennt, ähnlich wie etwas später der Lateiner Tertullian (Zitat Nummer 600) und der Syrer Bardaiṣān (Bardesanes) (Zitat Nummer 278) die Freiheit ein wesentliches Merkmal des Menschen, das Gott ihm bereits in der Schöpfung gegeben hat, um ihm frei dienen zu können. Besonders bemerkenswert an Irenaeus‘ Text ist, dass er unter b) von einer Freiheit spricht, „das Gute zurückzuhalten und zu tun“. Irenaeus spricht also ausdrücklich von einer Freiheit der alternativen Möglichkeiten und ist damit der erste ausdrückliche Zeuge dieser Lehre – noch vor dem Peripatetiker Alexander von Aphrodisias in seiner Schrift „Über das Schicksal“ (De fato) (vgl. Zitat Nummer 602). Das zeigt vermutlich, dass Irenaeus die philosophischen Diskussionen der Peripatetiker und Platoniker mit den Stoikern über die menschlichen Handlungsmöglichkeiten kannte. – Der Text des Irenaeus wurde ursprünglich auf Griechisch verfasst. Aber nur auf Latein und Armenisch ist er vollständig überliefert. Auch für unseren Text gibt es nur für Punkt b) einen griechischen Text.

Themen:

  • Freiheit
  • Bibel und Philosophie
  • Christentum und Philosophie
  • Freies Wählen
  • Paulus (Auslegung von Texten des)

a) Das aber, was die Schrift sagt: ,Wie oft wollte ich Deine Söhne sammeln, und Du wolltest nicht‘ (Evangelium nach Matthäus 8, 11f.), hat das alte Gesetz der Freiheit verdeutlicht, denn Gott schuf den Menschen frei, so dass er von Anfang an seine Macht ebenso besaß wie seine Seele, um die Anordnung Gottes freiwillig zu gebrauchen, nicht gezwungen von ihm. [...]
b) Weil alle die gleiche Natur haben und fähig sind, das Gute zurückzuhalten und zu tun [...], deswegen sagt Paulus: ,Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt‘ (1 Korinther 6, 12), indem er das Freie am Menschen erklärt – deswegen: alles ist erlaubt, ohne dass Gott ihn zwingt – und das Nützliche aufzeigt, damit wir die Freiheit nicht zur Bedeckung der Schlechtigkeit benutzen, denn dies ist unnütz. Das von selbst Geschehende wird nicht in gleicher Weise geliebt wie das mit Mühe Aufgefundene.

Übersetzer: Matthias Perkams

ἐπεὶ οἱ πάντες τῆς αὐτῆς εἰσι φύσεως, δυνάμενοί τε κατασχεῖν καὶ πρᾶξαι τὸ ἀγαθόν [...], διὰ τοῦτο ὁ Παῦλός φησιν· «Πάντα μοι ἔξεστιν, ἀλλ’ οὐ πάντα συμφέρει», τὸ ἐλεύθερον τοῦ ἀνθρώπου ἐξηγούμενος, διὸ πάντα ἔξεστιν, μὴ καταναγκάζοντος αὐτὸν τοῦ Θεοῦ, καὶ τὸ συμφέρον δείκνυσιν, ἵνα μὴ εἰς ἐπικάλυμμα κακίας καταχρησώμεθα τῇ ἐλευθερίᾳ, ἀσύμφερον γὰρ τοῦτό γε. Οὐχ ὁμοίως ἀγαπᾶται τὰ ἐκ τοῦ αὐτομάτου προσγινόμενα τοῖς μετὰ σπουδῆς εὑρισκομένοις.

Übersetzer: Matthias Perkams