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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Origenes: Philokalia 23, 1, l. 1-15

Original:

Origenes diskutiert, ob das Vorwissen Gottes eine Gefahr für die Freiheit darstellt
[1] Καί φασιν, εἰ ἐξ αἰῶνος ἔγνω ὁ θεὸς τόνδε τινὰ [...] τάδε ποιήσειν τὰ ἀδικήματα, ἀψευδὴς δὲ ἡ γνῶσις τοῦ θεοῦ [...], κατηνάγκασται τὸ ἀδικήσειν αὐτὸν καὶ ἀδύνατον ἔσται ἄλλο τι πρᾶξαι αὐτὸν ἢ ὅπερ ἔγνω ὁ θεός· [...]
[2] Πρὸς οὓς λεκτέον ὅτι ἐπιβάλλων ὁ θεὸς τῇ ἀρχῇ τῆς κοσμοποιΐας [...], ἐπιπορεύεται τῷ νῷ ἕκαστον τῶν ἐσομένων, ὁρῶν ὅτι ἐπεὶ τόδε γέγονε, τόδε ἕπεται, ἐὰν δὲ γένηται τόδε τὸ ἑπόμενον τόδε ἀκολουθεῖ, οὗ ὑποστάντος τόδε ἔσται· καὶ οὕτω μέχρι τέλους τῶν πραγμάτων ἐπιπορευθεὶς οἶδεν ἃ ἔσται. [...]
[3] Καὶ εἰ χρὴ λέγειν οὐ τὴν πρόγνωσιν αἰτίαν τῶν γινομένων [...], ἀλλὰ παραδοξότερον μὲν ἀληθὲς δὲ ἐροῦμεν, τὸ ἐσόμενον αἴτιον τοῦ τοιάνδε εἶναι τὴν περὶ αὐτοῦ πρόγνωσιν. Οὐ γὰρ ἐπεὶ ἔγνωσται γίνεται, ἀλλ’ ἐπεὶ ἔμελλεν γίνεσθαι ἔγνωσται.

Quelle: Origenes: Philokalia (philok.) 23, 1, l. 1-15.
Edition: Junod, Éric: Origène Philocalie 21-27 (Sur le libre arbitre). introd., texte, trad. et notes par Éric Junod. In: Sources Chrétiennes 226, Paris 1976.

Auslegung:

Origenes diskutiert als einer der ersten die Frage, ob das Vorwissen Gottes auch über Zukünftiges die menschliche Freiheit aufhebt (vgl. z. B. Zitat Nummer 299 und 687). Ein Hintergedanke des Textes, der hier nicht ausdrücklich erwähnt wird, findet sich in Aristoteles’ Diskussion des Beispiels der Seeschlacht, die entweder stattfindet oder nicht, was wir aber noch nicht wissen (Zitat Nummer 722). Problematisch für die Freiheitsdiskussion wird diese Überlegung, wenn man: a) Einen allwissenden Gott annimmt, wie die Christen es tun, und b) die Möglichkeit zu wählen, als entscheidenden Bestandteil der Freiheit versteht. Origenes löst das Problem, indem er, wie Augustinus (Zitat Nummer 299) sagt, dass die freien Entscheidungen der rationalen Wesen die Grundlage für Gottes Vorab-Erkenntnis des Weltlaufs sein sollen, dessen kausale Strukturierung Origenes in enger Anlehnung an stoische Vorbilder schildert. Seine Darstellung des Vorabwissens Gottes nimmt scheinbar schon die Schilderung des Duns Scotus vorweg (Zitat Nummer 110), dass Gott den Weltlauf erkennt, bevor er eintritt. Doch wird weder diese Priorität von Origenes deutlich gemacht, noch Scotus‘ Behauptung, Gott erkenne die Welt neutral, bevor er sie schaffe, und er habe auch andere Welten schaffen können. Im Vergleich zu Boethius (Zitat Nummer 302) sind die Implikationen des Unterschieds von Zeit und Ewigkeit weniger differenziert erläutert. Insgesamt ist aber beindruckend, wie sehr Origenes Grundgedanken aller dieser Denker vorwegnimmt.

Themen:

  • Freiheit
  • Gott
  • Christentum und Philosophie
  • Determinismus
  • Ewigkeit
  • Plan Gottes
  • Vorsehung/Providenz
  • Zeit
  • Vorwissen Gottes

[1] Nun behaupten sie: Wenn Gott von Ewigkeit her erkannt hat, dass dieser [...] dieses bestimmte Unrecht tun wird, die Erkenntnis Gottes aber unfehlbar ist [...], wird sein Unrecht-Tun notwendig gemacht, und es wird unmöglich sein, dass er etwas anderes tut, als Gott vorhergesehen hat. [...]
[2] Diesen muss man antworten, dass Gott, wenn er sich zum Beginn der Weltschöpfung anschickt [...], mit dem Geist alles Geschehende bereist und sieht: Wenn dies geschehen ist, folgt dies, wenn aber dies geschieht, dann ergibt sich des Folgende, bei dessen Zustandekommen sich jenes ereignen wird – und so weiter bis zum Ende der Dinge weiß er, da er es bereist hat, was sich ereignen wird. [...]
[3] Und wenn man sagen muss, dass nicht das Vorwissen der Grund für das Geschehende ist [...], so sagen wir doch etwas ziemlich Paradoxes, aber Wahres: Das, was geschehen wird, ist die Ursache dafür, dass sein Vorwissen so und so ist. Denn es geschieht nicht, weil es vorher erkannt wurde, sondern es wurde erkannt, weil es geschehen sollte.

Übersetzer: Matthias Perkams