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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Sīnā (Avicenna): Autobiographie Autobiographie (p. 32-35 Gohlmann)

Original:

Ibn Sīnā (Avicenna) berichtet über seine Probleme beim Studium von Aristotelesʼ Metaphysik
وقرأت كتاب ما بعد الطتيعة فلم أفهم ما فيه والتبس علىّ غرض واضعه حتّى أعدت قبأءته أربعين مرّة، وصار لي محفوظاً. وأنا مع ذلك لا أفهمه ولا المقصود به . ... فحضرت ينما وقت العصر في الورّاقين فتقدّم دلال بيده مجلّد ينادي عليه. فعرضه علىّ فرددته ردّ متبرّم معتقد أن لا فائدة في هذا العلم. فقال لي اشتره فحاحبه محتاج إلى ثمنه وهو رخيص. وأبيعكه بثلاثة دراهم. فاشتريته فإذا هو كتاب أبي نصر الفارابيّ في أعراض كتاب ما بعد الطبيعة. ورجعت إلى داري وأسرعت قراءته فانفتح علىّ الوقت أغراض ذلك الكتاب لأنه كان قد صار لي محفوظاً على ظهر القلب. وفرحت بذلك وتصدّقت في اليوم الثاني بشيء كثير على الفقراء شكراً للّه تعالي.


Quelle: Ibn Sīnā (Avicenna): Autobiographie /Sirat al-shaykh al-ra'is /vita (vit.) Autobiographie (p. 32-35 Gohlmann).
Edition: The Life of Ibn Sina. A Critical Edition and Annotated Translation by William E. Gohlmann, Albany (N.Y.) 1974.

Auslegung:

Ibn Sīnā berichtet hier über die Schwierigkeiten, die er bei der Lektüre von Aristoteles’ Metaphysik hatte. Zugleich berichtet er, mit einigen Anklängen an den Buchhandel seiner Zeit und an islamische Frömmigkeit, wie er dieses Problem durch Erwerb einer Schrift von al-Fārābī löst. – Avicennas Schwierigkeiten rühren zum einen davon her, dass Ibn Sīnā ein philosophischer Autodidaktiker ist, der sich, wie er gerne betont, seine Quellentexte weitgehend selbst erschloss. Zum anderen ergeben sich seine Probleme aus der schweren Verständlichkeit von Aristoteles’ Metaphysik, die sich durch die unvollkommenen Übersetzungen ins Arabische (vgl. Zitat Nummer 417) noch vergrößerten. Bemerkenswert ist, dass es Ibn Sīnā weniger um den aristotelischen Text zu gehen scheint, den er einfach wiederholt liest, sondern eher um das „Ziel“ bzw. „die Ziele“ der Metaphysik. Damit dürfte das Thema gemeint sein, das dieses Buch eigentlich behandeln will, und das genau der Gegenstand von al-Fārābīs kurzer Schrift über die Ziele des Buches der Metaphysik (Zitat Nummer 704), in der Ibn Sīnā nach eigener Aussage die Lösung für seine Probleme fand. Ebenso wie sein Vorgänger verstand er die Metaphysik – und zwar sowohl das Werk als auch die in ihm dargelegte philosophische Disziplin – als eine Art allgemeine Ontologie, in der grundlegende Festlegungen für andere Wissenschaften getroffen werden (Zitat Nummer 453). Zu dieser Erkenntnis führte ihn aber offenbar nicht einfach der aristotelische Text, sondern die zeitgenössische Deutung seines Vorgängers al-Fārābī.

Themen:

  • Aristoteles
  • Methodik
  • Gott und die Welt
  • Judentum und Islam
  • Mittelalterliche Philosophie
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Metaphysik

Ich las das Buch der Metaphysik, aber ich verstand nicht, was darin steht, und mir blieb das Ziel seines Verfassers dunkel, bis dass ich die Lektüre vierzigmal wiederholt hatte und es auswendig wusste, wobei ich es trotzdem nicht verstand und nicht das darin liegende Ziel. [...] Eines Tages zur Zeit des Nachmittagsgebets befand ich mich bei den Buchhändlern, als ein Makler herantrat und in seiner Hand einen Band hielt, den er zum Verkauf ausrief. Er reichte ihn mir, aber ich gab ihn angewidert zurück, weil ich meinte, dass diese Wissenschaft zu nichts nutze sei. Er aber sagte mir: „Kaufe ihn doch, sein Besitzer braucht das Geld. Er ist billig, und ich verkaufe ihn Dir für drei Dirham.“ So kaufte ich ihn, und siehe da, es war das Buch von Abū Naṣr al-Fārābī Über die Ziele des Buches der Metaphysik. Ich kehrte nach Hause zurück und ging eilends an die Lektüre. Da gingen mir mit einem Male die Ziele dieses Buches auf, denn ich kannte es ja bereits auswendig. Ich freute mich darüber und gab am folgenden Tag ein reichliches Almosen für die Armen aus Dankbarkeit gegen Gott, der erhaben ist.

Übersetzer: Strohmaier, geändert von Matthias Perkams