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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Plotin: Enneade I 1 [53], 8, 1-10

Original:

Plotin erklärt das Verhältnis der Seele zum Geist, wie das „Wir“ sich zum reinen, überindividuellen Geist – dem Ort der platonischen Ideen – verhält
a) Πρὸς δὲ τὸν νοῦν πῶς; [...] ἢ ἔχομεν καὶ τοῦτον ὑπεράνω ἡμῶν. ἔχομεν δὲ ἢ κοινὸν ἢ ἴδιον [...]· κοινὸν μέν, ὅτι ἀμέριστος καὶ εἷς καὶ πάνταχου ὁ αὐτός, ἴδιον δέ, ὅτι ἔχει καὶ ἕκαστος αὐτὸν ὅλον ἐν ψυχῇ τῇ πρώτῇ.
b) ἔχομεν οὖν καὶ τὰ εἴδη διχῶς, ἐν μὲν ψυχῇ οἷον ἀνειλιγμένα καὶ οἷον κεχωρισμένα, ἐν δὲ νῷ ὁμοῦ τὰ πάντα.
c) τὸν δὲ θεὸν πῶς; ἢ ὡς ἐποχούμενον τῇ νοητῇ φύσει καὶ τῇ οὐσίᾳ τῇ ὄντως, ἡμᾶς δὲ ἐκεῖθεν τρίτους.

Quelle: Plotin: Enneade /Enneade (enn.) I 1 [53], 8, 1-10.
Edition: Edition: Plotini Opera. Ediderunt P. Henry / H.-R. Schwyzer. Tomus 1: Porphyrii vita Plotini. Enneades I–III, Oxford 1964, S. 1–38.

Auslegung:

Ähnlich wie Zitat Nummer 264 thematisiert dieses Zitat das Verhältnis der individuellen Seele zu den höheren Hypostasen Geist und Eines. Abschnitt a) betont, dass wir als Seele auch irgendwie den Geist (nous) besitzen, nämlich als etwas Höheres an dem wir Anteil haben, und zwar auch jeweils in individueller Weise (und nicht nur so, dass die Seele im Allgemeinen Anteil am Geist im Allgemeinen hat). Jede Person hat also Anteil an und (einen möglicherweise verschütteten) Zugang zu der geistigen Welt. Daraus ergibt sich auch b), dass wir die Ideen ebenfalls in Form von Abbildern besitzen, aber Zugang zu den reinen Ideen bzw. Formen im Geist gewinnen können. c) behandelt unsere Beziehung zum Einen (vgl. Zitate Nummer 265 und 517), das hier nur „der Gott“ genannt wird. In indirekter Weise, nämlich vermittelt durch den Geist, hat die Seele auch hierzu eine Beziehung und kann daher das Dritte (ewig Seiende) hinter Einem und Geist genannt werden. Daher ist es Menschen möglich, sich mystisch mit dem Einen zu vereinigen (vgl. Zitat Nummer 270).

Themen:

  • Geist (Nous)
  • Gott und die Welt
  • Seele
  • Antike Philosophie II
  • Denken
  • Ideen
  • Formen
  • Tod und Sterben

a) Und wie verhalten wir uns zum Geist? [...] Nun: Auch diesen haben wir, und zwar oberhalb von uns. Wir haben ihn aber entweder gemeinsam oder jeder für sich allein [...]: gemeinsam, weil er unteilbar und eins und überall derselbe ist, für sich allein, weil ihn trotzdem jeder in seiner ersten Seele ganz besitzt.
b) Mithin besitzen wir auch die Formen auf zwei Arten, in der Seele quasi entwickelt und quasi voneinander separat, im Geist dagegen alle auf einmal.
c) Und den Gott, inwiefern besitzen wir ihn? Nun: insofern er auf der geistig erkennbaren Natur, d.h. auf dem wirklichen Sein, aufsitzt; und wir sind von dort aus gesehen das dritte [nämlich hinter dem Gott und dem Geist].

Übersetzer: Christian Tornau, leicht angepasst von Matthias Perkams