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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Plotin: Enneade I 5 (36), 10, 15-22

Original:

Plotin betont den Vorrang des theoretischen Glücks und erklärt praktische Aktivität in dieser Hinsicht für irrelevant
ἐπεὶ καὶ ἡ σωτηρία τῆς πάτριδος γένοιτο ἂν καὶ παρὰ φαύλοῦ, καὶ τὸ ἐπὶ σωτηρίᾳ τῆς πάτριδος ἡδὺ καὶ ἄλλου πράξαντος γένοιτο ἂν αὐτῷ. οὐ τοίνυν τοῦτό ἐστι τὸ ποιοῦν τὴν τοῦ εὐδαίμονος ἡδονὴν, ἀλλ᾿ ἡ ἕξις καὶ τὴν εὐδαιμονίαν καὶ εἴ τι ἡδὺ δι᾿ αὐτὴν ποιεῖ. τὸ δὲ ἐν ταῖς πράξεσι τὸ εὐδαιμονεῖν τίθεσθαι ἐν τοῖς ἔξω τῆς ἀρετῆς καὶ τῆς ψυχῆς ἐστι τίθεντος· ἡ γὰρ ἐνέργεια τῆς ψυχῆς ἐν τῷ φρονῆσαι καὶ ἐν ἑαυτῇ ὡδὶ ἐνεργῆσαι.

Quelle: Plotin: Enneade /Enneade (enn.) I 5 (36), 10, 15-22.
Edition: Plotini Opera. Ediderunt P. Henry / H.-R. Schwyzer. Tomus 1: Porphyrii vita Plotini. Enneades I–III, Oxford 1964, S. 1–38.

Auslegung:

Der Text zeigt in interessanter Weise, wie gering Plotin die Bedeutung praktisch guter Handlungen für das Glücklichwerden bzw. die Eudaimonie veranschlagt: Tatsächlich kann ja jeder das Vaterland retten, so dass ihm das entsprechende Glück zukommt – also auch ganz ohne Philosophie und Bildung. Vielmehr meint Plotin, dass das Glücklichsein letzten Endes auf einen geordneten tugendhaften Charakter und damit auf das Denken selbst zurückzuführen ist. Plotin nimmt damit sehr pointiert und etwas provokativ eine Position ein, die von Aristoteles bereits vorbereitet wurde, als er als höchste Form des Glücklichseins die Theorie ansetzte (Zitat Nummer 442). Plotin ist demgegenüber noch radikaler und lehnt eine Bedeutung des politischen Lebens für die Eudaimonie faktisch ganz ab. Das ist aber nicht nur seine eigene Meinung, sondern entspricht einer generellen Tendenz in der Spätantike.

Themen:

  • Glück (Fortuna)
  • Wege des Ich
  • Tugend
  • Praxis
  • Glückseligkeit (Eudaimonia)

Denn auch die Rettung des Vaterlands kann gewiss auch durch einen unvollkommenen Menschen geschehen, und das, was an der Rettung des Vaterlands freudvoll ist, kommt ihm gewiss auch dann zu, wenn ein anderer so handelt. Nicht dies ist ja das, was die Freude des Glücklichen bewirkt, sondern der Habitus bewirkt sowohl die Eudaimonie als auch, wenn etwas durch sie freudvoll ist. Den Zustand der Eudaimonie in den Handlungen anzusetzen ist Sache von jemandem, der sie in den Dingen außerhalb der Tugend und der Seele ansetzt. Denn die Aktivität der Seele besteht im Denken (ἐν τῷ φρονῆσαι) und darin, in sich selbst so aktiv zu sein.

Übersetzer: Matthias Perkams