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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Rušd (Averroes): Kommentar zu Aristoteles’ Physik f. 1r/2r Edition Venedig 1560

Original:

Der arabische Aristoteliker Ibn Rušd/Averroes fasst in seinem Kommentar zur aristotelischen Physik, der ins Lateinische übersetzt wurde, noch einmal das aristotelische Curriculum zusammen
[1r] Vtilitas eius [i.e. huius libri] est pars utilitatis scientiae speculatiuae: et declaratum est in scientia considerante in operationibus uoluntariis, quod esse hominis secundum ultimam perfectionem ipsius, et substantia eius perfecta est ipsum esse perfectum per scientiam speculatiuam: et ista dispositio est sibi faelicitas ultima et sempiterna uita. [...] [1v] [...] Et declarauit Alexander in prooemio huius libri quomodo sequitur scientia harum uirtutum ad scientiam speculatiuam [...] [2r] [...] Proportio eius [i.e. huius libri] omnibus scientiis speculatiuis, scilicet comparatio scientiae naturalis est secundum proportionem partis ad totum: quia sc[i]entiae sunt duobus modis: unus numeratur propter exercitium, sicut mathematica: alius propter perfectionem, per quam ipsum est, et est scientia naturalis, et diuina.

Quelle: Ibn Rušd (Averroes): Kommentar zu Aristoteles’ Physik /In Aristotelis Physicam commentarium f. 1r/2r Edition Venedig 1560.
Edition: Aristotelis Stagiritae Omnia, Qvae Extant. Opera […]. Averrois Cordubensis In Ea Opera Omnes, qui ad nos peruenere, Commentarii. […]. Tomus 9 […], Venetiis 1560.

Auslegung:

Dieser Text aus der Einleitung zu Ibn Rušds Großem Physikkommentar, der nur in lateinischer Übersetzung erhalten ist, gibt wohl antike Aussagen zur Rolle des theoretischen Philosophierens für das gute Leben wieder. Die Quelle der Ausführungen ist wohl der Aristoteliker Alexander von Aphrodisias, der ja im Text auch namentlich genannt wird. Der Grundgedanke des Textes ist, dass auch die von Aristoteles genannten Disziplinen der theoretischen Philosophie (Zitat Nummer 692), hier die Physik bzw. Naturphilosophie, einen Beitrag zu einem guten Leben bzw. zur Vervollkommnung durch Philosophie leisten. Nach der Vorstellung der Aristoteliker Alexander und Averroes wird daher die Vollendung des Menschen nicht (nur) durch geistige Übungen oder den Erwerb praktischer Tugenden erreicht, sondern durch die wissenschaftliche Beschäftigung selbst. Das kann man als Interpretation der besten Lebensform aus Nikomachische Ethik 10 verstehen (Zitat Nummer 442). In jedem Fall tragen derartige Überlegungen zur Wertschätzung der Philosophie als eigener Lebensform auch im lateinischen Mittelalter bei.

Themen:

  • Aristoteles
  • Physik/Naturphilosophie
  • Wege des Ich
  • Freiheit (Vorlesung)
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Mensch und Seele
  • Philosophie als Lebensform

Der Nutzen dieses Buchs ist ein Teil des Nutzens der theoretischen Wissenschaft: und in der Wissenschaft, welche die willentlichen Handlungen betrachtet, wurde erklärt, dass das Sein des Menschen gemäß seiner letzten Vervollkommnung und seine vollkommene Substanz ist, dass er durch die theoretische Wissenschaft vervollkommnet wird; und diese Haltung ist für ihn die letzte Glückseligkeit und das ewige Leben. [...] Und Alexander erklärte im Prooem zu diesem Buch, wie die Wissenschaft von diesen Tugenden auf die theoretische Wissenschaft folgt. [...] Das Verhältnis dieses Buches zu allen theoretischen Wissenschaften, nämlich der Vergleich der Wissenschaft von der Natur, entspricht dem Verhältnis eines Teils zum Ganzen: denn die Wissenschaften sind auf zweierlei Weise: eine wird wegen der Übung aufgezählt, wie die Mathematik, die andere wegen der Vervollkommnung, deretwegen diese ist, und dies ist die Wissenschaft von der Natur und die göttliche [Wissenschaft].


Übersetzer: Matthias Perkams