Original:
Anselm von Canterburys ontologischer Gottesbeweis
Dixit insipiens in corde suo: Non est deus‘ [...] Convincitur [...] etiam insipiens esse vel in intellectu aliquid quo nihil maius cogitari potest, quia hoc cum audit intelligit, et quicquid intelligitur in intellectu est. Et certe id quo maius cogitari nequit, non potest esse in solo intellectu. Si enim vel in solo intellectu est, potest cogitari esse et in re, quod maius est. Si ergo id quod maius cogitari non potest, est in solo intellectu: id ipsum quo maius cogitari non potest, est quo maius cogitari potest. Sed certe hoc esse non potest. Existit ergo procul dubio aliquid quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re.
Quelle:
Anselm von Canterbury:
Proslogion
/
Proslogion
(
pros.)
II.
Edition: N.N.
Auslegung:
Anselms ontologischer Gottesbeweis (VL Gott und die Welt)
- ausdrückliche Reflexion der Unterscheidung von Denken und Wirklichkeit
- Wirklichkeit ist Prämisse jedes wahrhaften Denkens.
- Konsequenz ergibt sich aus den Zugeständnissen des Gesprächspartners: Jeder hat einen Begriff, „im Vergleich zu dem nichts Größeres gedacht werden kann“
→ Diesem Begriff muss etwas entsprechen, sonst kann noch etwas Größeres gedacht werden → Notwendigkeit des Existierens von etwas Höchstem, das jeder denken kann
→ Ein Element des Denkens fordert begrifflich seine Notwendigkeit
→ strikt apriorischer Beweis, der aus der Denknotwendigkeit auf ein Sein schließt
Anselm liefert den vermutlich bedeutendsten Gottesbeweis aller Zeiten (VL Mittelalterliche Philosophie)
- Kritik Gaunilos (von Anselm zitiert): Wenn ich mir eine ganz vollkommene Insel vorstelle, dann muss es die doch auch nicht geben
- Antwort Anselms: Das Problem ist, dass ich hier von etwas anderem rede, nämlich vom höchsten Denkgegenstand
→ Möglichkeit des Existierens oder Nicht-Existierens kann hier nicht existieren
- Moderne Kritiken: Kant: Existenzurteile sind synthetische Urteile, die kann es apriori nicht geben → Wiederholung von Gaunilos Kritik (100 mögliche Taler sind 100 wirkliche Taler)
→ Antwort Anselms: gerade nicht Rekurs auf allgemeine Denkmöglichkeiten, sondern Hinweis auf Einzelfall
- Frege: Existenz ist ein Quantor, kein Prädikat → strukturell andere Rolle von Existenzzuschreibungen als andere Prädikate.
Problem: Sprachlogisch ist das keineswegs geklärt: Warum soll „der Baum existiert“ anders behandelt werden als „der Baum ist grün“
→ Anselms Argument berührt Grundprobleme der Philosophie → durch reductio ad absurdum nur sehr schwer widerlegbar → Gottesbegriff bleibt Aufgabe philosophischen Nachdenkens
Themen:
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Ontologischer Gottesbeweis
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Gottesbeweis
-
Gott und die Welt