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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Proklos : Kommentar zu Platons Timaios (1, p. 384, 2-22 Diehl)

Original:

Proklos setzt sich ausführlich mit der These auseinander, die Welt sei ewig, und wertet dabei die Materie zu einem guten Prinzip auf
[1] περὶ δὲ τῆς ὕλης αὐτῆς ζητήσειεν ἄν τις, εἴτε ἀγένητός ἐστιν ἀπ’ αἰτίας, ὥς φασιν οἱ περὶ Πλούταρχον καὶ Ἀττικόν, εἴτε γενητή, καὶ ἐκ ποίας αἰτίας. Ἀριστοτέλης μὲν γὰρ ἀγένητον ἄλλως ἀπέδειξεν αὐτὴν […]· ὁ δὲ παρὼν λόγος ἀίδιον μὲν αὐτὴν εἶναί φησιν, ἐπιζητεῖ δέ, εἰ […] δύο ταύτας ἀρχὰς θετέον κατὰ Πλάτωνα τῶν ὅλων, ὕλην καὶ θεόν. […]
[2] ὅτι μὲν γὰρ οὐχ ὁ δημιουργὸς πρώτως ὑφίστησι τὴν ὕλην, δῆλον ἐξ ὧν ἐρεῖ προελθών [52D], τρία ταῦτα προεῖναι τῆς τοῦ κόσμου γενέσεως, ὂν καὶ χώραν καὶ γένεσιν […]· δοκεῖ γοῦν διὰ τούτων τὴν μὲν ὕλην ὥσπερ ἀντιδιελεῖν τῷ δημιουργῷ κατὰ τὸ μητρικὸν ἰδίωμα καὶ πατρικόν, τὴν δὲ γένεσιν ἀπὸ τοῦ δημιουργοῦ παράγειν καὶ τῆς ὕλης.
[3] δέδεικται δ’ ἐν ἄλλοις, ὅτι τὴν πρώτην ἀπειρίαν […] ἐν τῇ ἀκρότητι τῶν νοητῶν ἵδρυσε καὶ ἐκεῖθεν αὐτῆς διατείνει τὴν ἔλλαμψιν ἄχρι τῶν ἐσχάτων, ὥστε κατ’ αὐτὸν ἡ ὕλη πρόεισιν ἔκ τε τοῦ ἑνὸς καὶ ἐκ τῆς ἀπειρίας τῆς πρὸ τοῦ ἑνὸς ὄντος, […] διὸ καὶ ἀγαθόν πῄ ἐστι καὶ ἄπειρον, καὶ ἀμυδρότατον ὂν καὶ ἀνείδεον.

Quelle: Proklos : Kommentar zu Platons Timaios /Εἰς Τίµαιον /In Timaeum commentaria (1, p. 384, 2-22 Diehl).
Edition: Procli Diadochi In Platonis Timaeum commentaria. Edidit E. Diehl. Tomus 1–3, Leipzig 1903–1906.

Auslegung:

Proklos setzt sich ausführlich mit der These auseinander, die Welt sei ewig, und wertet dabei die Materie zu einem guten Prinzip auf
Der Text kommentiert die Auseinandersetzung des Proklos mit den Aussagen zur Materie, die er in Platons naturphilosophischem Dialog ,Timaios‘ findet. Platon verwendet dieses Wort, das spätestens seit Aristoteles ein philosophischer terminus technicus ist, hier zwar nicht, scheint sie mit figurativen Ausdrücken wie ,Ort‘ die Materie zu bezeichnen. Proklos’ Frage ist nun, ob die Materie entstanden ist oder nicht. Hierzu betont er in [1], dass sie nach dem ,Timaios‘ unentstanden und ebenso wie ,Gott‘ ein ursprüngliches Prinzip der Welt ist. In Punkt [2] erklärt er, was er unter „Gott“ versteht, nämlich den Demiurgen im ,Timaios‘. Dies ist für den Neuplatoniker ein Gott niedrigen Ranges, weit unter den Henaden (vgl. Zitat Nr. 281). Deswegen ist er nicht ganz transzendent und kann direkt die Welt schaffen. Da er aber offenbar nicht die Materie schafft, die er zur Weltschöpfung benötigt, erklärt Proklos in [3], woher seiner Ansicht nach die Materie stammt, nämlich aus der ersten Unendlichkeit. Das heißt: Genau an dem Punkt her, wo das Eine in das Sein der Ideen übergeht und zuerst eine Unendlichkeit hervorbringt, entsteht die Materie. Im Vergleich zu allen anderen, niedrigeren Prinzipien wie z.B. Seelen oder der Demiurg ist sie daher ursprünglicher und stellt für sie alle eine Herausforderung dar. Zugleich gehört sie, anders als bei Plotin (Zitat Nummer 273) zur guten Struktur der Wirklichkeit. – Die Frage nach der Ewigkeit der Materie hängt eng zusammen mit der Frage nach der Ewigkeit der Welt, die Proklos ebenso wie Aristoteles annimmt und gegen die zahlreichen Christen seiner Zeit verteidigt: Wenn die Materie ontologisch prioritär gegenüber dem Schöpfergott ist, dann kann die Welt nicht aus dem Nichts geschaffen sein. Es ist allerdings erstaunlich, dass Proklos seine christlichen Zeitgenossen hier nicht nennt, sondern nur die 300 Jahre vorher verstorbenen Platoniker Plutarch und Attikos. Das erklärt sich wohl daraus, dass er primär einen innerplatonischen Schuldiskurs und keine offene Polemik führt.

Themen:

  • Antike Philosophie II
  • Ewigkeit der Welt
  • Neuplatonismus
  • Stoff
  • Naturphilosophie
  • Demiurg

[1] Über die Materie an sich könnte jemand fragen, ob sie ungeworden von einer Ursache ist, wie es die Leute um Plutarch und Attikos sagen, oder geworden, und aus welcher Ursache. Aristoteles zeigte nun auf andere Weise, dass sie ungeworden ist […]. Die gegenwärtige Argumentation [in Platons Timaios] behauptet nun, dass sie ewig ist, und untersucht, […] ob man diese zwei Ursachen Platon zufolge annehmen muss, die Materie und Gott. […]
[2] Dass nämlich nicht der Demiurg [= Schöpfergott im Timaios] zuerst die Materie konstituiert, ist dadurch klar, dass Platon, wenn er fortfährt, sagt, folgende drei Dinge bestünden vor der Entstehung der Welt, das Seiende, der Ort [= die Materie] und das Werden. […] Hierdurch scheint er die Materie gleichsam von vornherein vom Demiurgen gemäß der mütterlichen und väterlichen Eigenheit zu unterscheiden, das Werden aber aus dem Demiurgen und der Materie hervorzubringen.
[3] Es wurde aber anderswo gezeigt, dass er die erste Unendlichkeit […] an der Spitze des Denkbaren ansiedelte und dort aus deren Erleuchtung bis zum Letzten ausdehnt, so dass ihm zufolge die Materie aus dem Einen und der Unendlichkeit, die vor dem Einen ist, hervorgeht. […] Deswegen ist sie auch irgendwie gut und unendlich, obwohl sie ganz verworren und formlos ist.

Übersetzer: Matthias Perkams