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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Strabo: Geographie 16, 2, 35-39

Original:

Ein Stoiker schildert die Juden als philosophierendes Volk
[1] Μωσῆς γάρ τις τῶν Αἰγυπτίων ἱερέων […], ἀπῆρεν ἐκεῖσε ἐνθένδε δυσχεράνας τὰ καθεστῶτα, καὶ συνεξῆραν αὐτῷ πολλοὶ τιμῶντες τὸ θεῖον. ἔφη γὰρ ἐκεῖνος καὶ ἐδίδασκεν, ὡς οὐκ ὀρθῶς φρονοῖεν οἱ Αἰγύπτιοι θηρίοις εἰκάζοντες καὶ βοσκήμασι τὸ θεῖον […]· οὐκ εὖ δὲ οὐδ’ οἱ Ἕλληνες ἀνθρωπομόρφους τυποῦντες· εἴη γὰρ ἓν τοῦτο μόνον θεὸς τὸ περιέχον ἡμᾶς ἅπαντας καὶ γῆν καὶ θάλατταν, ὃ καλοῦμεν οὐρανὸν καὶ κόσμον καὶ τὴν τῶν ὄντων φύσιν. Τούτου δὴ τίς ἂν εἰκόνα πλάττειν θαρρήσειε νοῦν ἔχων ὁμοίαν τινὶ τῶν παρ’ ἡμῖν; ἀλλ’ ἐᾶν δεῖν πᾶσαν ξοανοποιίαν […] καὶ προσδοκᾶν δεῖν ἀγαθὸν παρὰ τοῦ θεοῦ καὶ δῶρον ἀεί τι καὶ σημεῖον τοὺς σωφρόνως ζῶντας καὶ μετὰ δικαιοσύνης, τοὺς δ’ ἄλλους μὴ προσδοκᾶν.
[2] Ἐκεῖνος μὲν οὖν τοιαῦτα λέγων ἔπεισεν εὐγνώμονας ἄνδρας οὐκ ὀλίγους καὶ ἀπήγαγεν ἐπὶ τὸν τόπον τοῦτον, ὅπου νῦν ἐστι τὸ ἐν τοῖς Ἱεροσολύμοις κτίσμα. […] ἅμα δ’ ἀντὶ τῶν ὅπλων τὰ ἱερὰ προὐβάλλετο καὶ τὸ θεῖον, ἵδρυσιν τούτου ζητεῖν ἀξιῶν, καὶ παραδώσειν ὑπισχνούμενος τοιοῦτον σεβασμὸν καὶ τοιαύτην ἱεροποιίαν ἥτις οὔτε δαπάναις ὀχλήσει τοὺς χρωμένους οὔτε θεοφορίαις οὔτε ἄλλαις πραγματείαις ἀτόποις. […]
[3] Οἱ δὲ διαδεξάμενοι χρόνους μέν τινας ἐν τοῖς αὐτοῖς διέμενον δικαιοπραγοῦντες καὶ θεοσεβεῖς ὡς ἀληθῶς ὄντες, ἔπειτ’ ἐφισταμένων ἐπὶ τὴν ἱερωσύνην τὸ μὲν πρῶτον δεισιδαιμόνων, ἔπειτα τυραννικῶν ἀνθρώπων, ἐκ μὲν τῆς δεισιδαιμονίας αἱ τῶν βρωμάτων ἀποσχέσεις, ὧνπερ καὶ νῦν ἔθος ἐστὶν αὐτοῖς ἀπέχεσθαι, καὶ [αἱ] περιτομαὶ […] καὶ εἴ τινα τοιαῦτα ἐνομίσθη, ἐκ δὲ τῶν τυραννίδων τὰ λῃστήρια. […]
[4] καὶ κοινόν ἐστι τοῦτο καὶ τοῖς Ἕλλησι καὶ τοῖς βαρβάροις. πολιτικοὶ γὰρ ὄντες ἀπὸ προστάγματος κοινοῦ ζῶσιν· ἄλλως γὰρ οὐχ οἷόν τε τοὺς πολλοὺς ἕν τι καὶ ταὐτὸ ποιεῖν ἡρμοσμένως ἀλλήλοις, ὅπερ ἦν τὸ πολιτεύεσθαι, καὶ ἄλλως πως νέμειν βίον κοινόν. τὸ δὲ πρόσταγμα διττόν, ἢ γὰρ παρὰ θεῶν ἢ παρὰ ἀνθρώπων· καὶ οἵ γε ἀρχαῖοι τὸ παρὰ τῶν θεῶν ἐπρέσβευον μᾶλλον καὶ ἐσέμνυνον.

Quelle: Strabo: Geographie /Γεωγραφικά /Geographica (Geogr.) 16, 2, 35-39.
Edition: Strabons ›Geographika‹. Mit Übersetzung und Kommentar herausgegeben von St. Radt. Band 1–4, Göttingen 2002–2005.

Auslegung:

Der Judenexkurs des Geographen Strabon, der seit Jahrzehnten häufig dem mittleren Stoiker Poseidonios (ca. 135-51 v. Chr.) zugeschrieben wird, ist eines der bedeutendsten Dokumente für die Wahrnehmung der jüdischen Religion durch antike Philosophen. Der Berichterstatter interpretiert den jüdischen Monotheismus und das Bilderverbot ursprünglich als eine aus philosophischen Gründen motivierte Haltung, nämlich aus der Einsicht, dass das schlechthin Transzendente sich nicht in Kultbildern abbilden lasse [1]. Indem Mose als Ägypter dargestellt wird, wird der Auszug aus Ägypten als eine Reaktion philosophisch aufgeklärter Ägypter gegen den ansonsten herrschenden Polytheismus dieses Volkes verstanden. Die Darstellung Gottes als das, was die Erde umgibt, ist ein besonders deutliches Zeichen für die stoische Haltung des Berichterstatters, da ein Platoniker sicherlich die Transzendenz Gottes von der Welt betont hätte. In [2] wird die ursprüngliche jüdische Religion noch deutlicher als philosophisches Reformprogramm im Sinne eines reformierten Kultes dargestellt. In [3] wird ein Abfall von diesem Ideal geschildert, in dessen Folge die jüdischen Kultvorschriften entstehen, die dem Berichterstatter als absurdes Zeichen des Aberglaubens gelten. Am real existierenden Judentum seiner Zeit hat er also kein wirkliches Interesse. Punkt [4] zeigt, dass es ihm eher um eine Kulturtheorie geht: Das Beispiel des Judentums zeige die Notwendigkeit eines politischen Zusammenlebens, verdeutliche aber auch, dass die Zustände in der Urzeit besser gewesen seien als zu seiner eigenen Zeit – ein weiterer Gedanke, der in der Stoa verbreitet ist.

Themen:

  • Antike Philosophie II
  • Exodus
  • Gott
  • Monotheismus
  • Mose
  • Ägypten/Ägypter
  • Bild (Kultbild)
  • Judentum und Philosophie

[1] Ein gewisser Mose nämlich, ein ägyptischer Priester […], ist aus Unzufriedenheit mit den Verhältnissen von dort hierher [nach Syria/Palaestina] gezogen, und mit ihm zogen viele, die das Göttliche verehren. Er sagte nämlich und lehrte, die Ägypter […] dächten nicht richtig, wenn sie das Göttliche in Gestalt wilder und zahmer Tiere abbildeten, aber auch die Griechen täten nicht recht, wenn sie sie als Menschen abbildeten. Denn einzig und allein das, was uns alle und die Erde und das Meer umgibt, sei Gott, das, was wir Himmel und Welt und die Natur der Dinge nennen: Welcher vernünftige Mensch würde es da wagen, dies in einer Gestalt abzubilden, die mit irgendetwas bei uns Ähnlichkeit hat? Nein, man müsse auf alle Herstellung von Kultbildern verzichten […], und die maßvoll und gerecht Lebenden dürften von Gott stets Gutes, irgendein Geschenk und ein Vorzeichen, erwarten, die anderen dürften das nicht.
[2] Er überzeugte mit dieser Rede nicht wenige einsichtsvolle Männer und führte sie herauf zu dem Ort, wo heute die Stadt Jerusalem steht. […] Außerdem berief er sich nicht auf Waffen, sondern auf das Heilige und das Göttliche, indem er behauptete, einen Sitz hierfür zu suchen, und versprach, eine Verehrungsweise und Zeremonien einzuführen, welche denen, die sie praktizierten, weder Kosten noch Ekstasen noch andere fehlgeleitete Handlungen aufbürden würden. […]
[3] Seine Nachfolger behielten dasselbe einige Zeit bei, handelten gerecht und waren wahrhaft gottesfürchtig. Als dann aber in das Priesteramt erst mit Aberglauben behaftete und dann tyrannische Menschen eingesetzt wurden, kam es durch den Aberglauben zur Enthaltung von den Speisen, deren sie sich auch heute noch zu enthalten pflegen, zur Beschneidung […] und ihren übrigen Gebräuchen, und durch die Tyrannei zu Raubzügen. […]
[4] Und das ist Griechen und Barbaren gemeinsam: Da sie politisch sind, leben sie nach einer allgemeinen Anordnung. Sonst ist es ja nicht möglich, dass die Menge in Einklang miteinander ein- und dasselbe tut – darin besteht doch das Zusammenleben in staatlicher Gemeinschaft und jegliche gemeinsame Lebensführung. Eine Anordnung gibt es aber auf zweifache Weise, nämlich entweder von Göttern oder von Menschen. Und die Alten hatten mehr Achtung und Ehrfurcht vor demjenigen, was von den Göttern kommt.

Übersetzer: St. Radt; leicht geändert von Matthias Perkams

Quelle: Strabons Geographika 4, 341-343.