Sokrates: Wenn eine Seele aber, meine ich, befleckt und unrein von dem Leibe scheidet, weil sie eben immer mit dem Leibe verkehrt und ihn gepflegt und geliebt hat und von ihm bezaubert gewesen ist und von den Lüsten und Begierden, so dass sie auch glaubte, es sei überhaupt gar nichts anderes wahr als das Körperliche, was man betastet und sieht, isst und trinkt und zur Liebe gebraucht, und weil sie gewohnt gewesen ist, das für die Augen Dunkle und Unsichtbare, der Vernunft hingegen Fassliche und mit Weisheitsliebe zu Ergreifende zu hassen, zu scheuen und zu fürchten, meinst du, dass eine so beschaffene Seele sich rein für sich absondern kann?
Kebes: Nicht im mindesten. [...]
Sokrates: Und, o Freund, man muss doch glauben, dies sei unbeholfen und schwerfällig, irdisch und sichtbar, so dass auch die Seele, die es an sich hat, schwerfällig ist und wieder zurückgezogen wird in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren und dem Hades, wie man sagt, an den Denkmälern und Gräbern umherschleichend, an denen daher auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen gesehen worden sind.
Übersetzer: Schleiermacher, leicht geändert von Matthias Perkams