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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) Vorrede (p. 1f. Rahman)

Original:

Ibn Sīnā/Avicenna (908-1037) betont die Bedeutung der Lehre von der Seele für die Naturwissenschaft
[1] ولما كانت النباتات والحيوانات متجوهرة الدوات عن صورة هي النفس ومادة هي الجسم والأعضاء وكان أولى ما يكون علما بشيء هو ما يكون من جهت صورته رأينا أن نتكلم أولا في النفس.
[2] وأن نز أن نبتر علم النفس فنتكلم أولا في نفس النبابية والنبات ثم في النفس الحيوانية والحيوان ثم في النفس الإنسانية والإنسان’ وإنما لم نفعل ذلك لسببين أحدهما أن هذا تبتر مما يوعر ضبط علم النفس المناسب بعض لبعض والثاني أن ... لا محالة ان ينفصل عنه بقوى نفسانية تخص جنسه ثم تحص أنواعه.


Quelle: Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) /An-Nafs (Kitāb-aš-Šifāʾ) Vorrede (p. 1f. Rahman).
Edition: Avicenna's De Anima (arabic text). Being the psychological part of Kitāb al-shifāʾ. ed. by Fazlur Rahman, London u. a. 1959.

Auslegung:

In diesem Text vom Beginn von Ibn Sīnās Behandlung der Seele aus seinem Buch der Genesung (Kitāb-aš-Šifāʾ) betont er zunächst die Relevanz des Themas nicht nur für die Behandlung des Menschen, sondern auch für die der Pflanzen und Tiere, die ebenfalls eine Seele haben [1]. Dann erklärt er, warum die Behandlung dieser leib-seelischen Wesen mit der Seele beginnen müsse, da ihre Form, gemäß aristotelischer Lehre, ontologisch primär und daher wissenschaftlich zuerst zu behandeln sei. Dann erklärt er, warum er das Thema Seele im Ganzen behandeln will: Das sei zum einen aus dem didaktischen Grund richtig, dass eine sukzessive Behandlung der Seelen von Pflanzen, Menschen und Tieren kompliziert sei. Zum anderen werde so das naturphilosophisch wichtige Faktum verstellt, dass diese Wesen zum Teil die gleichen Seelenvermögen aufwiesen. – Im Vergleich zu Aristoteles fällt auf, dass Ibn Sīnā seine Behandlung der Seele zwar naturphilosophisch begründet, aber davon ausgeht, dass die Seele ganz allgemein die „Form“ des Körpers sei. Er benutzt also einen allgemeineren Begriff als Aristoteles’ Konzept der „Entelechie“, das besonders dazu dient, trotz des Verständnisses der Seele als Form des belebten Körpers deren Verbindung zum Körper zu betonen (Zitat Nummer 669) und gewinnt so die Freiheit, den Begriff der „Form“ frei zu interpretieren (vgl. Zitat Nummer 951).

Themen:

  • Mensch und Seele
  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Körper und Seele
  • Materie
  • Naturphilosophie
  • Seele
  • Seelenvermögen
  • Form
  • Form/Materie (Hylemorphismus)
  • Psychologie (philosophische)
  • Seelenlehre (Psychologie)

[1] Und weil die Pflanzen und die Tiere als Substanzen in ihrem Wesen durch Form, nämlich die Seele, und Materie, nämlich den Körper und seine Glieder, konstituiert werden, und weil das Erste, worin das Wissen über etwas besteht, das ist, was von Seiten seiner Form kommt, hielten wir es für gut, zuerst über die Seele zu sprechen.
[2] Und dass wir das Wissen über die Seele nicht Stück für Stück darlegen, so dass wir zuerst über die Pflanzenseele und die Pflanzen, so dann über die Tierseele und die Tiere, und dann über die menschliche Seele und den Menschen sprechen, das liegt nur an zwei Gründen:
- Einer davon ist, dass dieses stückweise Vorgehen, das eines nach dem anderen in den Blick nimmt, zu dem gehört, was das Erlangen von Wissen über die Seele schwierig macht; und
- der zweite, dass […] dadurch unvermeidlich die Seelenvermögen abgetrennt werden, deren Art und deren Gattungen je für sich behandelt werden.

Übersetzer: Matthias Perkams