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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima (p. 1 Hayduck)

Original:

Der Neuplatoniker Priskian (um 515 n. Chr.) über seine Aufgabe als Kommentator von Aristoteles’ Schrift De anima
[1] διὸ καὶ τῆς Περὶ ψυχῆς Ἀριστοτέλους πεφροντισμένως ἄγαν ἀντέχεσθαι ἡγοῦμαι δεῖν πραγματείας. πολλὰ μὲν οὖν καὶ μακάρια θεωρήματα περὶ αὐτῆς καὶ ὑπὸ Πλάτωνος παραδέδοται. […]
[2] τελεωσαμένου δὲ τὴν Περὶ ψυχῆς πραγματείαν τοῦ Ἀριστοτέλους, ὡς τῷ ἀρίστῳ τῆς ἀληθείας κριτῇ δοκεῖ τῷ Ἰαμβλίχῳ, πολλὴ ἡ τῶν τὰ ἐκείνου σαφηνιζόντων πρὸς ἀλλήλους διαφωνία οὐ περὶ τὴν τῆς Ἀριστοτελικῆς λέξεως μόνον ἑρμηνείαν, ἀλλὰ καὶ περὶ αὐτὰ τὰ πράγματα μάλιστα.
[3] διὸ καὶ αὐτῷ μοι ἔδοξε ζητῆσαί τε καὶ γράψαι τὴν αὐτοῦ τε πρὸς ἑαυτὸν τοῦ φιλοσόφου καὶ τὴν πρὸς τὴν ἀλήθειαν συμφωνίαν, τὰς μὲν πρὸς τοὺς ἄλλους ἀντιρρήσεις φυλαττομένῳ, πιστουμένῳ δὲ τὰ δοκοῦντα ἐν τοῖς ἀμφιβόλοις ἐκ τῶν Ἀριστοτέλους ἐναργῶν δογμάτων τε καὶ ῥητῶν, πανταχοῦ δὲ κατὰ δύναμιν τῆς τῶν πραγμάτων ἀντεχομένῳ ἀληθείας κατὰ τὴν Ἰαμβλίχου ἐν τοῖς ἰδίοις αὐτοῦ περὶ ψυχῆς συγγράμμασιν ὑφήγησιν.

Quelle: Priskian aus Lydien [Pseudo-Simplikios]: In De anima/Kommentar zu Aristoteles’ De anima (p. 1 Hayduck).
Edition: Simplicii in libros Aristotelis De anima commentaria. Edidit M. Hayduck (CAG 11), Berlin 1882.

Auslegung:

Dieser Text fasst in sehr zugespitzter Weise Grundsätze zusammen, welche der antiken Textauslegung und insbesondere der neuplatonischen Deutung des Aristoteles allgemein zugrunde liegen. Nach [1] und [2] ist das Verhältnis von Platon und Aristoteles so zu denken, dass Aristoteles die von Platon begonnene Seelenlehre veränderte. Im Hinblick auf unterschiedliche Meinungen der Seele schließt sich Priskian seinem Vorbild Jamblich an, der 200 Jahre zuvor gravierende Meinungsverschiedenheiten über die Seele feststellte. Wie aus [3] hervorgeht, ist Priskians grundsätzliches Interpretationsprinzip dasjenige, jede Aristotelesstelle vor dem Hintergrund anderer des ganzen Corpus Aristotelicum zu interpretieren; damit realisiert er das antike Interpretationsprinzip, einen Einzelabschnitt stets vor dem Hintergrund des größeren Bezugsrahmens, in der Regel dem Werk eines Autors, zu deuten. Allerdings möchte Priskian sich auch bei seiner Aristoteles-Auslegung ganz an Jamblich halten. Diese Zielsetzung, Aristoteles grundsätzlich aus der Perspektive eines (Neu-)Platonikers zu kommentieren, ist aus historisch-kritischer Sicht sicherlich nicht geeignet, zu einer adäquaten Aristoteles-Interpretation zu kommen. Sie führt aber zu einer bemerkenswerten Synthese aristotelischer und neuplatonischer Elemente, die ihren eigenen Wert hat (Zitat Nummer 988-990).

Themen:

  • Mensch und Seele
  • Aristoteles
  • Auslegung (autoritativer Schriften)
  • Harmonie (zwischen Platon und Aristoteles)
  • Jamblich
  • Neuplatonismus
  • Seele

[1] Deswegen denke ich auch, dass man sich mit Bedacht ganz besonders an Aristoteles’ Untersuchung über die Seele halten muss. Gewiss wurden viele und wunderbare Beobachtungen über die Seele auch von Platon angestellt […].
[2] Seit aber Aristoteles seine Untersuchung über die Seele vollendete, herrscht, wie dem besten Beurteiler der Wahrheit, Jamblich [Platoniker des 4. Jhdts. n. Chr.], scheint, unter denen, die seine Aussagen erklären, große Uneinigkeit, und zwar nicht nur über die Auslegung des aristotelischen Textes, sondern auch ganz besonders über die Sachen selbst.
[3] Deswegen schien es auch mir gut, die Übereinstimmung des Philosophen mit sich selbst und mit der Wahrheit zu ergründen und zu beschreiben, wobei ich Polemiken gegen andere vermeide, aber in den Zweifelsfällen das Richtige aus Aristoteles’ klaren Lehren und Aussagen nachweise und mich überall, soweit möglich, an die Wahrheit über die Sachen gemäß Jamblichs Darlegung in seinen eigenen Schriften über die Seele halte.


Übersetzer: Matthias Perkams