Original:
Ibn Sīnā betont die Rolle des Intellekts (al-ʿaql), differenziert das Phänomen weiter auf und führt innere Sinne wie das Einschätzungsvermögen ein
[1] فاعتبار الآن وانظر إلى حال هده القوى كيف يرؤس بعضها بعضا وكيف يخدم بعضها بعضا‘
[2] فإنك تجد العقل المستفاد رئيسا‘ ويخدمه الكل‘ وهو الغاية القصوى‘ ثم العقل بالفعل يخدمه العقل بالملكة‘ والعقل الهيولاني بما فيه من الاستعداد يخدم العقل بالملكة‘ ثم العقل العملي يخدم خميع هذا لأن العلاقة البدنية (...) لأجل تكميل العقل النظري وتزكيته وتطهيرة‘ والعقل العملي هو مدبر تلك العلاقة‘
[3] ثم العقل العملي يخدمه الوهم‘ والوهم يخدمه قوتان‘ قوة بعده وقوة قبله‘ فالقوة التي بعده هي القوة التي تحفظ ما أداه الوهم أي الذاكرة‘ والقوة التي قبله هي جميع القوى الحيوانية.
Quelle:
Ibn Sīnā (Avicenna):
Die Seele (Buch der Genesung)
/
An-Nafs (Kitāb-aš-Šifāʾ)
I 5 (p. 50f. Rahman).
Edition: Avicenna's De Anima (arabic text). Being the psychological part of Kitāb al-shifāʾ. ed. by Fazlur Rahman, London u. a. 1959.
Auslegung:
Ibn Sīnā gibt bereits zu Beginn seines Werkes über
Die Seele eine Liste der von ihm angenommenen Seelenvermögen des Menschen. In diesem Zusammenhang gibt er deren Über- und Unterordnung an. Damit folgt er in gewissem Sinne Aristoteles, der auch von einer hierarchischen Ordnung von vegetativem, sinnlich wahrnehmendem und denkendem Seelenvermögen auszugehen scheint (vgl. Zitate Nummer 944 und 956). Doch ist Ibn Sīnā wesentlich kategorischer und differenzierter. – Der Text ist auch bedeutsam, weil hier einige der für Ibn Sīnā typischen Seelenvermögen erstmalig und in präziser Weise erwähnt werden. Das gilt besonders für den Intellekt, der dem aristotelischen Geist (
νοῦς/nous) entspricht. Seine verschiedenen Formen werden in [2] sehr knapp beschrieben:
- Der „erworbene Intellekt“ ist der Intellekt, den ein Mensch durch seine geistige Aktivität erwerben kann, d.h. eine weit entwickelte Fähigkeit zu denken.
- Er kann entweder als habituell vorhandener bzw. „habitueller Intellekt“ eine Fähigkeit zu denken oder als „Intellekt im Akt“ tatsächlich denkend sein.
- Alle diese Formen gehören zum „theoretischen Intellekt“, der sich mit der Erkenntnis der Wahrheit als solcher beschäftigt. Ihm dient der „praktische Intellekt“, der für die Lebensführung des leib-seelischen Menschen verantwortlich ist. Da er somit notwendigerweise mit dem Körper in Verbindung steht, ist er dem immateriellen theoretischen Intellekt untergeordnet.
Diese Formen des Intellekts sind über die Jahrhunderte durch eine genaue Lektüre von Aristoteles’ Aussagen zum Geist in dessen
Über die Seele (
De anima) III 4-5 gewonnen worden (vgl. Zitate Nummer 670-671). Die zentrale Rolle des Intellekts wurde vor Ibn Sīnā nicht zuletzt von al-Fārābī betont (vgl. Zitat Nummer 446).
In [3] findet sich eine der wichtigsten Neuerungen Ibn Sīnās, das „Einschätzungsvermögen“ (
al-wahm) (vgl. Zitat Nummer 981 [2]). Es wird hier als höchstes Vermögen der sensitiven Seele präsentiert, das die Informationen von allen anderen sinnlichen Seelenvermögen sammelt. Ein anderer „innerer Sinn“, das Gedächtnis (
al-ḏākira) sammelt seine Erkenntnisse (vgl. Zitat Nummer 981).
Themen:
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Mensch und Seele
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Arabisch-islamische Philosophie
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Intellekt (Formen des Intellekts)
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Körper und Seele
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Psychologie (philosophische)
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Seele
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Seelenlehre (Psychologie)
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Seelenvermögen
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Einschätzungsvermögen (al-wahm/aestimatio)
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Sinne (innere)