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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 1 (p. 56f. Rahman)

Original:

Ibn Sīnā über die unterschiedliche Wirkung des vegetativen Fortpflanzungsvermögens in verschiedenen Wesen
[1] والقوة النباتية التي في الحيوان‘ وهى الفصل الذى لها مما يشاركها في كونها ذات قوة الترذية والنمو فتمزج الأركان والعناصر مزاجا يصلح للحيوان إذ ليس تتولى مزاحها القوة المشتركة بين النبات والحيوان من حيث هي مشتركة. (...) لأنه ليس من طياع العناصر والأجسام المتضادة أن تأتلف لذاتها بل من طباعها الميل إلى جهات محتلفة‘
[2] وإنما تؤلفها النفس الخاصة مثلا في النخلة نفس نخلية وفي العنب نفس عنبية وبالجملة النفس التي تكون صورة لتلك المادة‘ والنفس إذا صارت نخلية كان لها مع أنها نفس النمو زيادة أنها نفس نخلية وفي العنب أنها نفس عنبية‘ وليست النخلة تحتاج ألى نفس نباتية ونفس أحرى تكون بتلك النفس نخلة‘ (...) وأما النفس النبانية التي في الحيوان فإنها بعد خلقة الحيوان (...) هي بالحقيقة غير بفس نباتية أللهم إلا أن يقال أنها نفس نباتية بالمعنى الذي ذكرنا أعني العام.


Quelle: Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) /An-Nafs (Kitāb-aš-Šifāʾ) II 1 (p. 56f. Rahman).
Edition: Avicenna's De Anima (arabic text). Being the psychological part of Kitāb al-shifāʾ. ed. by Fazlur Rahman, London u. a. 1959.

Auslegung:

Der vorliegende Text diskutiert zunächst das Verhältnis der vegetativen Seele zu ihrer materiellen Grundlage, die nach der antiken Vorstellung, die Ibn Sīnā hier aufgreift, aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft und verschiedenen Mischungen aus ihnen besteht. Diese Mischung ist Ibn Sīnā zufolge, für jedes Lebewesen eine spezifische. Es gibt also nicht eine Mischung der Elemente, die für jedes Lebewesen dessen vegetative Seele konstituiert, sondern diese Mischung ist eine artspezifische Mischung, in der die materielle Grundlage je verschieden realisiert ist [1]. Das führt Ibn Sīnā wiederum auf die Seele als das Prinzip zurück, das den lebendigen Körper zu dem macht, was er ist, und zwar für jede Art einzeln ist. Insofern kann Ibn Sīnā in [2] von einer Palmenseele und einer Traubenseele sprechen. Bei einem Tier wäre jedoch eine Tierseele für die Gestalt der vegetativen Seele ausschlaggebend, z.B. bei einem Esel eine Eselseele, die dem vegetativen Vermögen des Esels seine artspezifische Gestalt verleiht. – Der Text zeigt insgesamt, wie Ibn Sīnā darum ringt, seine neuplatonisch beeinflusste psychologische mit biologischen und naturwissenschaftlichen Annahmen zu vereinigen und sich dabei einer Darstellung eines Lebewesens als einheitlichem Wesen annähert.

Themen:

  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Mensch und Seele
  • Elemente (die vier Elemente)
  • Materie
  • Psychologie (philosophische)
  • Seele
  • Seelenlehre (Psychologie)
  • Seelenvermögen
  • Vegetative Seele (Pflanzen-/Nährseele)

[1] Und das pflanzliche Vermögen, das in den Tieren ist, also der Unterschied, den sie in ihrem Sein vom Allgemeinen haben, ist gerade das Nähr- und Wachstumsvermögen, und es ist vermischt mit der Gestalt und den Elementen zu einer Mischung, die für das Lebewesen passt. Denn ihre Mischung spielt nicht die Rolle des Vermögens, das den Pflanzen und Tieren gemeinsam ist, insofern es gemeinsam ist. […] Es gehört nämlich nicht zur Natur der Elemente und gegensätzlichen Körper, dass sie miteinander verbunden sind, sondern zu ihrer Natur gehört eine Neigung nach verschiedenen Seiten hin.
[2] Und verbunden hat sie nur die spezifische Seele, zum Beispiel in einer Palme eine Palmenseele und bei einer Traube eine Traubenseele und überhaupt die Seele, welche die Form für diese Materie ist. Und wenn es sich um eine Palmenseele handelt, kommt es ihr zusätzlich dazu, eine Palmenseele zu sein, zu, dass sie eine Wachstumsseele ist, und in einer Traube, eine Traubenseele zu sein. Und die Palme braucht nicht eine Pflanzenseele und eine andere Seele, die in dieser Palmenseele wäre. […] Und insofern ist die Pflanzenseele, die in den Tieren ist, also die nach Schöpfung des Tieres, […] in Wirklichkeit keine Pflanzenseele, abgesehen davon, dass man sie eine Pflanzenseele in der Weise nennt, die wir erwähnt haben.

Übersetzer: Matthias Perkams