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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) II 3 (p. 68 Rahman)

Original:

Ibn Sīnā stellt einen Zusammenhang zwischen dem Tastsinn und einer minimalen Bewegungsfähigkeit bei Schalentieren fest
وأما الحركة فلقائل أن يقول إنها أجت اللمس للحيوان‘ وكما أن من الحسّ نوعا متقدما كذلك قد يشبه أن يكون من قوى الحركة نوع متقدم‘ وأما المشهور فهو أن من الحيوان ما له حس اللمس وليس له قوة الحركة مثل ضروب من الأصداف‘ لكنا نقول أن الحركة الإرادية على ضربين حركة الانتقال من مكان إلى مكان‘ وحركة انقباض وانبساط للأعضاء من الحيوان وإن لم يكن به انتقال الجملة عن موضعه‘ فيبعد أن يكون حيوان له حس اللمس ولا قوة حركة فيه ألبتة فإنه كيف يعلم أن له حس اللمس إلا بأن يشاهد فيه نوع هرب من ملموس وطلب من ملموس.


Quelle: Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) /An-Nafs (Kitāb-aš-Šifāʾ) II 3 (p. 68 Rahman).
Edition: Avicenna's De Anima (arabic text). Being the psychological part of Kitāb al-shifāʾ. ed. by Fazlur Rahman, London u. a. 1959.

Auslegung:

In diesem Text geht Ibn Sīnā auf ein Spezialproblem der Sinneswahrnehmung ein, nämlich auf die Frage, ob mit dem Tastsinn immer die Bewegungsfähigkeit verbunden ist. Hintergrund ist, dass Aristoteles die Sinneswahrnehmung als basale Fähigkeit der Tiere ansieht und den Tastsinn für den grundlegendsten Sinn hält. Folglich ist er der Meinung, dass jedes Tier über den Tastsinn verfügen muss. Andererseits sollen Tiere aber auch über die Fähigkeit zur Bewegung verfügen. Das Problem ist nun, dass einige Tiere, wie z.B. Muscheln, das nicht zu tun scheinen. Ibn Sīnā argumentiert hiergegen, dass auch Muscheln durchaus eine Bewegungsfähigkeit hätten, nämlich das Öffnen und Schließen, aber keine Ortsbewegung. Damit ist das systematische Problem gelöst und die Behauptung gesichert, dass Tiere stets mindestens einen Sinn und die Fähigkeit zur Bewegung besitzen.

Themen:

  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Mensch und Seele
  • Psychologie (philosophische)
  • Seele
  • Seelenlehre (Psychologie)
  • Sinne(swahrnehmung)
  • Tier(e)

Und was die Bewegung betrifft, so kann jemand sagen: Nahe ist der Tastsinn den Tieren. Und insoweit er die primäre Art der Sinneswahrnehmung ist, insoweit dürfte scheinen, dass er unter den Bewegungskräften als erste Art vorhanden ist. Nun ist es bekannt, dass es von den Tieren welche gibt, die den Tastsinn besitzen und nicht die Fähigkeit zur Bewegung, so wie die Arten der Muscheln. Aber wir sagen, dass die willentliche Bewegung auf zwei Weisen erfolgt, als von Ort zu Ort transportierende Bewegung und als Bewegung des Zusammenziehens und Ausdehnens der Glieder des Tieres. Und wenn es in ihm überhaupt keinen Transport von seinem Ort gibt, so ist es unmöglich, dass das Tier den Tastsinn hat und die Bewegungskraft in ihm gar nicht vorhanden ist. Denn wie soll man wissen, dass es den Tastsinn hat, außer dadurch, dass an ihm eine Art von Abwendung vom Ertasteten und Streben zum Ertasteten gesehen wird?

Übersetzer: Matthias Perkams