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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III (p. 507, 35-508, 7 und 509, 13-22 Hayduck)

Original:

Ein weiterer Aspekt, den Stephanos einführt, betrifft die Fähigkeit des Vorstellens, aufgefasste Formen zu kombinieren
[1] τί οὖν; οὐκ ἀναπλάττεταί τινα ἡ φαντασία, ἅπερ αἴσθησις οὐκ οἶδε; […]. ὥστε ἀναπλάττεται καὶ ἃ μὴ αἴσθησις οἶδεν ἡ φαντασία καὶ ἐνεργεῖ ἄνευ αἰσθήσεως. αὕτη ἡ ἀπορία. πρὸς ἣν ἐροῦμεν ὅτι καὶ ἡνίκα ἀναπλάττεται, πάλιν ἀρχὰς λαμβάνει ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως. ἐπεὶ γὰρ εἶδεν ἰδίᾳ τράγον καὶ ἰδίᾳ ἔλαφον, ἔλαβε ταύτας τὰς ἀρχὰς ἁπλᾶς οὔσας ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως καὶ τὸ σύνθημα ἀνεπλάσατο. εἰ δὲ καὶ ἄνθρωπον οὐρανομήκη ἀναπλάττεται, ἀλλὰ πρότερον εἶδεν ἄνθρωπον τὸν καθ’ ἕκαστα. […]
[2] πῶς Ἀριστοτέλης νῦν φησιν ὅτι ἡ φαντασία περὶ τὰ ἴδια αἰσθητὰ ἀεὶ ἀληθεύει ἀνωτέρω φάμενος ὅτι ἡ φαντασία οὐκ ἀεὶ ἀληθεύει […]. καὶ αὕτη μὲν ἡ ἀπορία. πρὸς ἣν ἔστιν εἰπεῖν ὅτι διττή ἐστιν ἡ φαντασία, ἡ μὲν μόνως δεχομένη τὰ εἴδη καὶ οἱονεὶ δοχεῖον οὖσα, ἡ δὲ ἀναζωγραφοῦσα ὅτι καὶ βούλεται. ἡ μὲν οὖν δεχομένη τὰ εἴδη ἀεὶ ἀληθεύει, […]· ἡ δὲ ἀναζωγραφοῦσα ὅτι καὶ βούλεται, αὕτη ἐστὶν ἡ ψευδομένη· ἡνίκα γὰρ τὰ μὴ ὄντα ἀναζωγραφεῖ, ψεύδεται.

Quelle: Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III /In De anima III (p. 507, 35-508, 7 und 509, 13-22 Hayduck).
Edition: Ioannis Philoponi in Aristotelis De anima libros [I-II] commentaria, edidit M. Hayduck (CAG 15), Berlin 1897, 446-607.

Auslegung:

Dieser Text ist, wie Zitat Nummer 979, Teil von Stephanos’ Diskussion von Aristoteles’ Aussagen zum Vorstellungsvermögen in De anima III 3. Teil [1] ist ein wichtiges Zeugnis für die spätantike Tendenz, die aktive Kombinationsleistung darzustellen, dank welcher wir verschiedene Vorstellungen zu neuen Ideen zusammenfügen können. Dieser aktive Aspekt war von Aristoteles eher nicht betont worden, nimmt aber in der nach-aristotelischen Diskussion eine immer größere Rolle ein. In Teil [2] reagiert Stephanos, wie in Zitat Nummer 979, auf ein Problem, das der aristotelische Text (De anima III 3 428b 11-429a 3) im Vergleich mit dieser Theorie stellt, und reagiert wiederum mit einer Differenzierung in eine bewahrende und eine rekombinierende Vorstellungskraft. Dieser Unterscheidung wird später in Ibn Sīnās Theorie der Inneren Sinne eine Rolle spielen (vgl. Zitat Nummer 981 und 985). Ihr Verhältnis zu der in Zitat Nummer 979 genannten Differenzierung zwischen einer lernfähigen und einer nicht lernfähigen Vorstellungskraft wird aber von Stephanos nicht weiter geklärt, weil das für die Kommentierung des aristotelischen Textes nicht unbedingt erforderlich ist.

Themen:

  • Mensch und Seele
  • Lernen und Lehren
  • Phantasia/imaginatio
  • Seele
  • Tiere (Intelligenz von)
  • Vorstellung(svermögen)

[1] Wie nun? Fingiert das Vorstellen nicht manches, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt? […]. Folglich fingiert das Vorstellen auch, was die Sinneswahrnehmung nicht kennt und ist ohne Sinneswahrnehmung aktiv. Das ist die Frage. Wir sagen dazu: Auch wenn es fingiert, nimmt es die Ausgangspunkte wieder aus der Sinneswahrnehmung. Denn weil jemand den Bock und den Hirsch je für sich gesehen hat, nahm es diese Ausgangspunkte, die einfach sind, von der Sinneswahrnehmung und fingierte das Zusammengesetzte. Wenn es einen zum Himmel reichenden Menschen fingiert, so sah es doch vorher einen einzelnen Menschen. […]
[2] Wie kann Aristoteles nun sagen, dass das Vorstellen in Bezug auf die Wahrnehmungsobjekte an sich immer wahr ist, nachdem er gesagt hatte, dass das Vorstellen nicht immer wahr ist […]? Und dies ist die Frage. Dazu ist zu sagen, dass das Vorstellen auf zwei Weisen geschieht, die eine, die nur die Formen aufnimmt und wie etwas Aufnehmendes ist, die andere, die sich ausmalt, was sie will. Die die Formen aufnehmende ist nun immer richtig […]. Die sich ausmalende, was sie will, ist die Falsches Angebende. Denn weil sie sich nicht-Seiendes ausmalt, ist sie falsch.

Übersetzer: Matthias Perkams