Perkams-Zitatenschatz.de

Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) V 4 (p. 227-229 Rahman)

Original:

Ibn Sῖnā erklärt das Verhältnis von Seele und Körper
(1) أما أن النفس لا تموت بموت البدن فلأن كل شيء يفسد بفساد شيء آخر فهو متعلق به نوعا من التعلق‘ (...) فإن كان تعلق النفس بالبدن تعلق المكافىء في الوجود ودلك أمر ذاتي له لا عارض فكل واحد منهما مضاف الذات إلى صاحبه (...) وإن كان ذلك أمرا عرضيا لا ذاتيا فإن فسد أحدهما بطل العارض الآخر من الإضافة ولم تفسد الذات بفساده من حيث هذا التعلق. (...)
(2) فإنه إذا حدثت مادة بدن تصلح أن تكون آلة للنفس وملكة لها أحدثت العلل المفارقة النفس الجزئية أو حدثت عنها كذلك فإنه إحداثها بلا سبب مخصّص‘ إحداث واحدة دون واحدة‘ محال‘ فمع ذلك فإنه يمنع عن وقوع الكثرة بالعدد‘ (...)
(3) ولأنه لو كان يجوز أيضا أن تكون نفس جزئية تحدث ولم تحدث لها آلة بها تستكمل وتفعل لكانت معطلة الوجود‘ ولا شيء معطل في الطبيعة‘ وإذا كان ذلك ممتنعا فلا قدرة عليه‘ (...)
(4) وليس إذا وجب حدوث شيء عند حدوث شيء وجب أن يبطل مع بطلانه‘ إنما يكون ذلك إذا كانت ذات الشيء قائمة بذلك الشيء وفيه‘ (...) ومفيد وجود النفس شيء غير جسم ولا هو قوة في جسم‘ بل هو لا محالة ذات قائمة برئية عن المواد وعن المقادير.


Quelle: Ibn Sīnā (Avicenna): Die Seele (Buch der Genesung) /An-Nafs (Kitāb-aš-Šifāʾ) V 4 (p. 227-229 Rahman).
Edition: Avicenna's De Anima (arabic text). Being the psychological part of Kitāb al-shifāʾ. ed. by Fazlur Rahman, London u. a. 1959.

Auslegung:

Hier bereitet Ibn Sīnā sein Argument für die Unsterblichkeit der Seele vor, das er dann in Zitat Nummer 997 zu Ende führt. Seine Argumentation ist komplex: Abschnitt [1] liefert die allgemeine Prämisse: Wenn etwas wesentlich miteinander verbunden ist, dann kann es nicht getrennt werden. Wenn etwas akzidentell, also nur unter bestimmten Bedingungen oder auch (in diesem Sinne) „zufällig“, mit etwas verbunden ist, dann kann es davon abgetrennt werden. Die Frage ist daher, ob Seele und Körper wesentlich oder akzidentell miteinander verbunden sind. Punkt [2] und [3] weisen nun darauf hin, dass die Einzelseele und der Körper immer zusammen von höheren Intellekten hervorgebracht werden (der Verweis auf die höheren Intellekte ist neuplatonisch inspiriert, vgl. Zitat Nummer 263 von Plotin). Denn der Körper ist ja das notwendige Werkzeug, durch das die Seele überhaupt Erkenntnisse gewinnen und sich so als Intellekt konstituieren kann (Zitat Nummer 969 und 991). Eine Seele ohne Körper wäre daher nutzlos, was Aristoteles zufolge absurd ist. Trotzdem argumentiert Ibn Sīnā in [4], dass ihre Verbindung nicht wesentlich ist, so dass die Seele nicht notwendigerweise zerstört wird, wenn der Körper stirbt. Denn sie ist eine unkörperliche Entität, die von den höheren Intellekten stammt und daher nicht wesenhaft an den Körper gebunden ist, auch wenn sie mit ihm in diesem Leben stets verbunden bleibt. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, dass die Seele unsterblich sein kann. Bewiesen ist es aber bis jetzt noch nicht.

Themen:

  • Arabisch-islamische Philosophie
  • Mensch und Seele
  • Körper und Seele
  • Psychologie (philosophische)
  • Seele
  • Seelenlehre (Psychologie)
  • Unsterblichkeit der Seele

[1] Im Hinblick darauf, dass die Seele beim Tode des Körpers nicht stirbt, so ist jede Sache, die beim Zugrundegehen einer anderen Sache zugrunde geht, mit ihr auf eine Art des Zusammenhangs verbunden. […] Und wenn die Verbindung der Seele mit dem Körper erforderlich für das Sein und ein wesentlicher Aspekt dafür ist, kein akzidenteller, so steht jedes von beidem [Körper und Seele] in einer wesentlichen Relation zum anderen. […] Und wenn dies ein akzidenteller, nicht wesentlicher Aspekt ist, dann wird, wenn eines der beiden zugrunde geht, das andere Akzidens von seiten der Relation vernichtet, aber das Wesen geht bei dessen Zugrundgehen von seiten dieser Verbindung nicht zugrunde.
[2] Wenn nun die Materie des Körpers neu entsteht, so dass es sich fügt, dass das Werkzeug für die Seele und ihr Königreich da ist, bringen die abgetrennten Ursachen die Einzelseele hervor, und sie wird so von ihnen hervorgebracht. Nun ist ihr Hervorvorbringen ohne spezifizierende Ursache, als Hervorbringen einer ohne die andere, absurd, und die Realität einer Vielheit der Zahl nach unmöglich. […].
[3] Und auch, wenn es möglich wäre, dass eine Einzelseele entsteht und ihr Werkzeug nicht entsteht, durch das sie sich vollendet und tätig ist, so wäre sie nutzlos in ihrem Sein. Aber es gibt nichts Nutzloses in der Natur. Und wenn das unmöglich ist, so gibt es keine Macht dazu.
[4] Und wenn das Neuentstehen einer Sache beim Neuentstehen einer anderen Sache erfolgt, ist es nicht notwendig, dass sie bei deren Zerstörung zerstört wird. Das ist nur der Fall, wenn das Wesen der Sache durch und in dieser Sache liegt. […] Und was das Sein der Seele konstituiert, ist eine unkörperliche Sache und keine Kraft in einem Körper. Vielmehr ist es ein beständiges Wesen, das frei ist von Materie und von Ausdehnung.


Übersetzer: Matthias Perkams