Platon berichtet über seine ersten Erfahrungen mit der Politik
Damals, als ich jung war, ging es mir ebenso wie vielen: Ich glaubte, sobald ich mein eigener Herr wäre, sogleich zur Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten mich anzuschicken. [...] Es fand nämlich, da unsere Staatsverfassung dem Tadel vieler unterlag, eine Umgestaltung derselben statt, und [...] dreißig bestimmte sie zu unumschränkten Oberherren des ganzen Staats. Nun traf es sich, dass von diesen mir einige verwandt oder bekannt waren; diese forderten mich alsbald auf, an den Staatsgeschäften als etwas mir Zukommendem mich zu beteiligen. [...] Ich glaubte nämlich, sie würden den Staat irgendwie so verwalten, dass sie aus einem Zustand der Ungerechtigkeit zu einer gerechten Lebensweise ihn hinführten [...]. Doch als ich sehen musste, wie diese Männer in kurzer Zeit die vorherige Verfassung noch als Gold erscheinen ließen, unter anderem einen mir befreundeten älteren Mann, den Sokrates, den ich fast unbedenklich für den gerechtesten seiner Zeit erklären möchte, zusammen mit anderen ausschicken, einen Mitbürger gewaltsam zur Hinrichtung zu holen, damit er denn bei ihrem Tun sich beteiligte, ob er wollte oder nicht (doch er gab ihnen kein Gehör und setze sich lieber der äußersten Gefahr aus, als dass er an ihrem frevelhaften Treiben teilnahm); – [...], da erfüllte es mich mit Unwillen, und ich selbst zog mich von dem damaligen schlechten Regimente zurück.
Nach nicht langer Zeit wurden die dreißig gestürzt, und mit ihnen die ganze damalige Verfassung. [...] Unglücklicherweise zogen einige [neue] Gewalthaber wieder unsern schon erwähnten Freund, den Sokrates, vor Gericht und erhoben eine äußerst ruchlose Anklage gegen ihn, die am allerwenigsten für Sokrates angemessen war. Wegen Gottlosigkeit nämlich klagten ihn einige an, andere stimmten ihn für schuldig und ließen ihn hinrichten, ihn, der damals an der verbrecherischen Entführung eines der verbannten Freunde nicht hatte teilnehmen wollen, als es ihnen selbst in der Verbannung schlecht ging. Als ich mir dies nun anschaute: die, die Politik trieben, die Gesetze und Sitten, desto schwieriger kam es mir vor – je mehr ich das durchschaute und zugleich an Alter zunahm –, eine Staat richtig zu verwalten.
Platons Überlegungen zum Erteilen politischer Ratschläge
[1] Wer einem Mann raten will, der krank ist und für seine Gesundheit schädliche Lebensgewohnheiten hat, der darf wohl nicht anders handeln, als dass er erst seine Lebensweise zu ändern sucht und ihm erst dann, wenn er ihm folgen will, weitere Hinweise gibt. Will er es aber nicht, so halte ich nur den, der diese Behandlung sofort aufgibt, für einen Mann und einen Arzt, den jedoch, der trotzdem dabei bleibt, für unmännlich und nicht fachgerecht. [2] Dasselbe gilt auch für einen Stadtstaat, ob nun einer sein Herr ist oder mehrere: Wenn seine Verfassung sich auf dem rechten Weg befindet und dann Rat eingeholt würde über etwas, was ihr förderlich wäre, würde, wer Verstand hat, solche Leute beraten; andere jedoch, die sich ganz außerhalb der rechten Verfassung befinden und gar nicht auf ihre Spur kommen wollen, dem Berater aber vorweg sagen, er solle die Verfassung in Ruhe lassen und nicht verändern, ja er müsse sterben, wenn er sie verändere – wenn diese Leute beföhlen, ihrem Wollen und ihren Begierden dienend zu raten, auf welche Weise sie für alle Zukunft am leichtesten und schnellsten zu allem kämen; wer sich darauf einlässt, solche Ratschläge zu erteilen, den halte ich für unmännlich, wer sich nicht darauf einlässt, für einen Mann.