Original:
Giovanni Pico della Mirandola beschreibt den Menschen als Bildhauer
seiner selbst
[1] Statuit tandem optimus opifex, ut cui dare nihil proprium poterat commune
esset quicquid privatum singulis fuerat.
[2] Igitur hominem [...] sic est allocutus:
,Nec certam sedem, nec propriam faciem, nec munus ullum peculiare tibi
dedimus, o Adam, ut quam sedem, quam faciem, quae munera tute
optaveris, ea pro voto pro tua sententia, habeas et possideas.
[3] Definita ceteris
natura intra praescriptas a nobis leges coercetur. Tu, nullis angustiis
coercitus, pro tuo arbitrio, in cuius manu te posui, tibi illam praefinies [...],
ut tui ipsius quasi arbitrarius honorariusque plastes et fictor in quam
malueris tute formam effingas.
Quelle:
Pico della Mirandola, Giovanni:
Die Würde des Menschen
/
De hominis dignitate
131r.
Edition: Giovanni Pico della Mirandola, ›De hominis dignitate‹. ›Über die Würde des Menschen‹. Übersetzt von N. Baumgartner. Herausgegeben und eingeleitet von A. Buck. Lateinisch – Deutsch (Philosophische Bibliothek 427), Hamburg 1990.
Auslegung:
- Die Natur des Menschen ist von keinen Beschränkungen eingegrenzt. Der Mensch vermag es sich selbst nach eigener Entscheidung zu gestalten.
- für Pico ruht die Freiheit darin, sich so zu gestalten, wie man will
- Pico spricht nicht direkt von Freiheit, doch ist diese als das ursprünglich menschliche Vermögen zur Selbstgestaltung gut erkennbar
- gemeint ist freilich die ethische Wahl zwischen Gut und Böse, nicht eine strikt individuelle Entfaltung der Persönlichkeit
- Aufgriff antiker und christlicher Motive zeigt sich am platonischen „Handwerker“ (demiurgos) bzw. am christlichen Gott (vgl. Adam) und an der ebenfalls platonischen Charakterisierung des Menschen als nicht festgelegt
- Pico entwickelt gezielt den Eindruck einer Wahrheit, die nicht zuletzt durch Alter und Universalität überzeugt
- also kein eigentlich philosophischer Beweis, sondern ein Universalargument im Sinne Ciceros
- historisch ist die Universalität von Picos Bild allerdings zumindest fraglich, denn de facto sind Picos Quellen häufig pseudepigraphe Träger antiker platonisch-pythagoräischer Ideen
- schon zu Beginn des neuzeitlichen Freiheitsdiskurses zeigt sich ein Gegensatz: Ist die besondere Bedeutung von Freiheit ein universaler oder nur ein „westlicher“ Wert?
- Tatsache ist, dass er im Westen seine bedeutendste Ausprägung gefunden hat
Themen:
-
Mensch
-
Freiheit (Vorlesung)
-
Mittelalterliche Philosophie