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Philosophische Zitate aus Antike und Mittelalter

Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat I 26

Original:

Augustinus über die Freiheit des Gewissens gegenüber dem Worte Gottes
a) Sed quaedam, inquiunt, sanctae feminae tempore persecutionis, ut insectatores suae pudicitiae devitarent, in rapturum atque necaturum se fluvium proiecerunt eoque modo defunctae sunt earumque martyria in catholica Ecclesia veneratione celeberrima frequentantur.
b) De his nihil temere audeo iudicare. [...] Quid si enim hoc fecerunt, non humanitus deceptae, sed divinitus iussae, nec errantes, sed oboedientes? [...] Nam et miles cum oboediens potestati, sub qualibet legitime constitutus est, hominem occidit, nulla civitatis suae lege reus est homicidii, immo, nisi fecerit, reus est imperii deserti atque contempti; quod si sua sponte atque auctoritate fecisset, crimen effusi humani sanguinis incidisset. [...] Quod si ita est iubente imperatore, quanto magis iubente Creatore!
Qui ergo audit non licere se occidere, faciat, si iussit cuius non licet iussa contemnere; tantummodo videat utrum divina iussio nullo nutet incerto. Nos per aurem conscientiam convenimus, occultorum nobis iudicium non usurpamus. Nemo scit quid agatur in homine nisi spiritus hominis, qui in ipso est.

Quelle: Augustinus von Hippo: Der Gottesstaat /De civitate dei I 26.
Edition: Augustinus, De civitate dei: Sancti Aurelii Augustini De civitate dei libri. Ad fidem quartae editio- nis Teubnerianae quam a. 1927–1928 curaverunt G. Dombart / A. Kalb paucis emendatis mutatis additis. Tomus 1–2 (CCL 47–48), Turnhout 1955.

Auslegung:

Der erste Abschnitt a) weist auf ein Problem hin, das Augustinus’ Position zum Suizid (vgl. Zitat Nummer 346) im Verhältnis zu seinen heidnischen Gegnern/Adressaten hat. Denn bei der Eroberung Roms durch die Westgoten haben sich einige christliche Jungfrauen, um der Vergewaltigung zu entgehen selbst umgebracht. Wie kann nun, so fragen Augustinus’ Gegner, deren Tat von den Christen bewundert werden? Augustinus’ Antwort b) betont die Innerlichkeit des Gewissens der Frauen und die Möglichkeit, dass sie einen direkten göttlichen Befehl bekommen hätten, dem sie gehorcht hätten, so wie Soldaten ihrem Feldherrn. Interessant ist, dass Augustinus damit die Gründe für ein persönliches Verhalten ins nicht mehr Erkennbare des eigenen Gewissens verschiebt. Ein solches gewissensmäßiges Lauschen auf einen göttlichen Befehl verlangt er auch in breiterem Maße, fordert aber zu sorgfältiger Prüfung auf.

Themen:

  • Gesetz und Gewissen
  • Gewissensfreiheit
  • Apologetik
  • Frauen (Aussagen über)

a) Aber sie [die heidnischen Kritiker] sagen nun, zur Zeit der Verfolgung haben sich doch einige heilige Frauen, um die Verfolger ihrer Keuschheit zu vermeiden, in einen Fluss geworfen, der sie wegreißen und umbringen sollte und sind auf diese Weise gestorben. Ihre Martyrien werden nun in der katholischen Kirche regelmäßig mit großartiger Verehrung begangen.
b) Über diese [heiligen Frauen] wage ich nicht, ein sicheres Urteil auszusprechen. [...] Denn was ist, wenn sie dies nicht aufgrund einer menschlichen Täuschung taten, sondern auf göttlichen Befehl hin, nicht irrend, sondern gehorchend? [...] Denn auch ein Soldat ist, wenn er im Gehorsam gegenüber einer staatlichen Gewalt, unter welche er legitimerweise gestellt ist, einen Menschen tötet, durch kein Gesetz seines Staates des Mordes schuldig, sondern ist vielmehr, wenn er es nicht getan hätte, schuldig des Verlassens und der Verachtung eines Befehls. Aber wenn er es aus eigenem Antrieb und eigener Urheberschaft getan hätte, dann unterfiele er dem Verbrechen des Vergießens menschlichen Blutes. [...]
Aber wenn das bei dem Befehl eines Feldherrn so ist, um wie viel mehr bei einem Befehl des Schöpfers! Wer also hört, man dürfe sich nicht töten, soll dies doch tun, wenn der befohlen hat, dessen Befehle nicht missachtet werden dürfen. Er soll lediglich darauf achten, dass der göttliche Befehl durch keine Unsicherheit schwankt! Wir begegnen dem Gewissen durch das Ohr, das Urteil über das Verborgene maßen wir uns nicht an. ,Niemand weiß, was im Menschen getant wird, außer der Geist des Menschen, der in ihm wohnt‘ (1 Korinther 2, 11).

Übersetzer: Matthias Perkams