Seneca über die abendliche Gewissensprüfung (Antike Philosophie II)<br />
Geistliche Übungen bei Seneca (Gesetz und Gewissen)
Sextius tat dies, dass er zum Abschluss des Tages, wenn er sich zur nächtlichen Ruhe zurückzog, seinen Geist fragte: ,Welchen deiner Fehler hast Du heute geheilt? Welchem Laster bist Du entgegengetreten? An welchem Teil bist Du nun besser?‘ [...] Der Geist wurde entweder gelobt oder ermahnt und als Betrachter und heimlicher Beurteiler seiner selbst erkannte er seine Sitten. Ich nutze diese Fähigkeit täglich und spreche bei mir selbst Recht. Wenn das Licht aus dem Gesichtskreis verschwunden und meine Gattin, die meine Sitte schon kennt, still geworden ist, prüfe ich meinen ganzen Tag und ermesse meine Taten und Worte; nichts verberge ich vor mir selbst, nichts umgehe ich.
Martin Luthers theologische Deutung des Gewissens
,Wie prachtvoll sind die Füße derer, die durch das Evangelium den Frieden verkünden‘ (Röm 10, 15). ,Prachtvoll‘ bedeutet nach der spezifisch hebräischen Aussageweise eher Gegenstand des Begehrens und gewünscht, graziös oder der Liebe und des Begehrens würdig, zu Deutsch ,lieblich und angenehm‘ [im Original Deutsch]. Und so ist der Sinn [der Stelle], dass denen, die dem Gesetz unterstehen, die Verkündigung des Evangeliums lieblich und angenehm ist. Denn das Gesetz zeigt nichts anders als die Sünde, macht schuldig und bedrängt so das Gewissen, das Evangelium aber kündigt das Heilmittel an, dass von den so Bedrängten gewünscht wird. Daher ist das Gesetz schlecht, das Evangelium gut, das Gesetz kündigt den Zorn, das Evangelium den Frieden an. [...] Das Gesetz bedrängt das Gewissen mit Sünden, aber das Evangelium befreit und befriedet es durch den Glauben an Christus.