Ein anonymer Averroist zu Thomas von Aquins Behauptung, jeder einzelne Mensch denke
Indem etwas Unakzeptables benannt und dieses dort nicht bewiesen wird, indem es anderswo vorausgesetzt, bekannt und zugestanden wird, ist es leicht, viel Unakzeptables zu folgern. Diese aber nehmen an, dass der Mensch eigentümlich denkt, beweisen dies aber nicht. Von dieser Voraussetzung her argumentieren sie. Aber wenn dieses Vorausgesetzte nicht wahr ist, argumentieren sie nicht. Dass der Mensch daher in eigentümlicher Rede denkt, gestehe ich nicht zu. Wenn dies jedoch zugestanden ist, dann weiß ich nicht zu antworten. Aber dies bestreite ich, und zu Recht, daher werde ich leicht antworten.
Der Dominikaner-Mönch und begeisterte Aristoteliker Albertus Magnus sieht innerhalb des Christentums einen Platz für die philosophische Glücksvorstellung des Averroes
[1] Die theologische Kontemplation stimmt in einer Hinsicht mit der philosophischen überein und unterscheidet sich in einer anderen; daher sind beide nicht schlechthin identisch.
[2] Sie stimmt nämlich darin überein, dass es auch in der theologischen einen Einblick auf bestimmte geistige Dinge durch den Intellekt gibt, die ohne ein Hindernis durch die Leidenschaften von Seiten des Subjekts und durch einen Zweifel von Seiten des Glaubens darauf hingeordnet ist, in Gott zu ruhen, worin die höchste Glückseligkeit besteht.
[3] Sie unterscheidet sich aber im Habitus, im Ziel und im Objekt. Und zwar im Habitus, weil die theologische durch ein Licht betrachtet, das von Gott eingegeben wurde, aber der Philosoph durch den erworbenen Habitus der Weisheit; im Ziel, weil die theologische das letzte Ziel in der Betrachtung Gottes im Himmel ansetzt, aber der Philosoph in einer Vision, durch die er ein Stück weit in diesem Leben gesehen wird; zudem im Objekt [...] im Hinblick auf die Art und Weise, denn der Philosoph betrachtet Gott, insofern er ihn als eine bestimmte Konklusion aus einem Beweis besitzt, aber der Theologe betrachtet ihn als etwas, was oberhalb von Vernunft und Intellekt existiert.
Der ,Averroist’ Alberich von Reims (um 1250) über die Vorzüge der Philosophie
[1] Drei sind es, wie Empedokles sagt, in erster Linie unter der gesamten Vielfalt der Dinge, die das großartigste Geschenk der Großzügigkeit Gottes, nämlich die Philosophie, erleuchten und erheben: die Verachtung des beweglichen Überflusses, das Streben nach der göttlichen Seligkeit und die Erleuchtung des Geistes. [...]
[2] Denn das Sein des Menschen in seiner höchsten Vollkommenheit oder Vollständigkeit besteht darin, dass er durch die theoretischen Wissenschaften vollkommen ist, wie Averroes im Prolog [zum Kommentar] zum Achten Buch von [Aristoteles‘] Physik sagt. [...] Damit der Mensch also nicht unvollkommen bleibt und durch sein natürliches Streben enttäuscht wird, ist das Studium der Philosophie von ihm in einem dauernden Bemühen des Geistes sorgfältig auszuüben und beständig zu erstreben.
[3] Nun werden wir [hierhin] durch ein natürliches Streben gezogen, wie die Göttin der Wissenschaften an ihrem Anfang darlegt: "Alle Menschen" usw. [streben von Natur aus zu wissen] (Metaphysik I 1, 980a 21). Hierzu sagt der Kommentator: "Wir haben ein natürliches Verlangen, die Wahrheit zu wissen." Zu Recht, denn, wie Aristoteles im Zehnten Buch der Nikomachischen Ethik sagt, ist der Mensch nur Intellekt (X 7, 1178a 2-7).
[4] Dieser Intellekt wird aber, nach dem Zeugnis des genannten Averroes [...] durch die Philosophie vervollständigt. [...] Ihm stimmt Seneca zu, wenn er sagt: "Ohne Bildung" zu leben, "ist Tod und ein Begräbnis des lebenden Menschen" (Seneca, Brief 82, 3).