Augustinus, ein scharfer Kritiker der Selbsttötung, setzt sich mit dem Fall der Lucretia auseinander, die sich nach einer Vergewaltigung selbst tötete
[1] ,Es klingt wundersam: [...] Da waren zwei, und nur einer ließ den Ehebruch zu‘. [...] Ich rufe Euch an, römische Gesetze und Richter. [...] Wenn [...] Euch [...] bewiesen würde, dass eine [...] keusche und unschuldige Frau getötet wurde, würdet ihr nicht den, der das getan hätte, mit angemessener Strenge bestrafen? Das hat diese Lucretia getan: sie, sie, die so hochgelobte Lucretia hat die unschuldige, die keusche, die vergewaltigte Lucretia getötet. [...]
[2] Vielleicht deswegen [...], weil sie keine unschuldige, sondern eine mit schlechtem Gewissen tötete? Was ist denn, wenn sie – was sie allein wissen konnte – dem jungen Mann, der sie allerdings gewaltsam angriff, auch durch ihre eigene Begierde verführt zustimmte und dies, als Strafe gegen sich selbst, so sehr bereute, dass sie meinte, es müsse mit dem Tode gesühnt werden?
Augustinus über die Freiheit des Gewissens gegenüber dem Worte Gottes
a) Aber sie [die heidnischen Kritiker] sagen nun, zur Zeit der Verfolgung haben sich doch einige heilige Frauen, um die Verfolger ihrer Keuschheit zu vermeiden, in einen Fluss geworfen, der sie wegreißen und umbringen sollte und sind auf diese Weise gestorben. Ihre Martyrien werden nun in der katholischen Kirche regelmäßig mit großartiger Verehrung begangen.
b) Über diese [heiligen Frauen] wage ich nicht, ein sicheres Urteil auszusprechen. [...] Denn was ist, wenn sie dies nicht aufgrund einer menschlichen Täuschung taten, sondern auf göttlichen Befehl hin, nicht irrend, sondern gehorchend? [...] Denn auch ein Soldat ist, wenn er im Gehorsam gegenüber einer staatlichen Gewalt, unter welche er legitimerweise gestellt ist, einen Menschen tötet, durch kein Gesetz seines Staates des Mordes schuldig, sondern ist vielmehr, wenn er es nicht getan hätte, schuldig des Verlassens und der Verachtung eines Befehls. Aber wenn er es aus eigenem Antrieb und eigener Urheberschaft getan hätte, dann unterfiele er dem Verbrechen des Vergießens menschlichen Blutes. [...]
Aber wenn das bei dem Befehl eines Feldherrn so ist, um wie viel mehr bei einem Befehl des Schöpfers! Wer also hört, man dürfe sich nicht töten, soll dies doch tun, wenn der befohlen hat, dessen Befehle nicht missachtet werden dürfen. Er soll lediglich darauf achten, dass der göttliche Befehl durch keine Unsicherheit schwankt! Wir begegnen dem Gewissen durch das Ohr, das Urteil über das Verborgene maßen wir uns nicht an. ,Niemand weiß, was im Menschen getant wird, außer der Geist des Menschen, der in ihm wohnt‘ (1 Korinther 2, 11).