Boethius von Dakien begründet ein philosophisches Glücksideal im lateinischen Mittelalter mit aristotelischen Argumenten
[1] Weil es für jede Art des Seienden irgendein mögliches höchstes Gut gibt, und der Mensch eine Art des Seienden ist, muss irgendein höchstes Gut für den Menschen möglich sein. Ich meine nicht das höchste Gut schlechthin, sondern das höchste für ihn [...].
[2] Was aber dieses höchste Gut ist, das dem Menschen möglich ist, wollen wir durch die Vernunft untersuchen.
[3] Das höchste Gut, das dem Menschen möglich, steht ihm gemäß seiner besten Tugend zu. [...] Die beste Tugend des Menschen aber sind die Vernunft und der Intellekt; denn die höchste menschliche Lebensführung besteht sowohl im Nachdenken als auch im Handeln. Also steht das höchste Gut, das dem Menschen möglich ist, ihm gemäß dem Intellekt zu.
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[1] Und wenn unter den Tätigkeiten der Vernunftseele irgendeine die beste und vollkommenste ist, sind alle natürlicherweise um ihretwillen. Und wenn sich ein Mensch in dieser Tätigkeit befindet, befindet er sich im besten Zustand, der dem Menschen möglich ist. Und diejenigen sind Philosophen, die ihr Leben dem Bemühen um Weisheit widmen.
[2] Auch ist der Philosoph aus drei Gründen im moralischen Sinne tugendhaft. Einer ist, dass er die Schändlichkeit eines Handelns erkennt, indem ein Laster besteht, und den edlen Charakter eines Handelns, in dem Tugend besteht […]. Das zweite ist, dass der, der eine höhere Tugend gekostet hat, jede geringere Freude verachtet. Der Philosoph aber hat die intellektuelle Freude gekostet, indem er die Wahrheiten des Seins geschaut hat […]. Daher verachtet er sinnliche Freuden. […] Das Dritte ist, dass es im Denken und Betrachten keine Sünde gibt. Denn bei etwas schlechthin Gutem sind ein Übermaß und eine Sünde nicht möglich. Das Handeln des Philosophen ist aber das Betrachten der Wahrheit. Daher ist der Philosoph auf leichtere Weise tugendhaft als andere.