Johannes Duns Scotus über Intellekt und Wille in Gott
[1] Jeder Akt des Intellekts, der in Gott einem Willensakt vorausgeht, ist rein naturhaft und formal nicht frei. Infolgedessen ist alles, was vor jedwedem Willensakt gedacht wird, rein naturhaft.[...] [2] Deshalb kommt dem göttlichen Intellekt vor dem Willensakt von solchen Termini lediglich eine neutrale Erkenntnis zu, gerade so, wie mein Intellekt neutral zu dem komplexen Sachverhalt steht, ob die Anzahl der Sterne gerade oder ungerade ist. Wenn nun der Intellekt dem Willen derartige komplexe Sachverhalte darbietet, dann kann der Wille das Zusammenstellen dieser Termini frei wählen oder nicht wählen. [...] [3] Und erst in genau dem Augenblick, da der göttliche Wille ,Petrus‘ und ,Glückseligkeit‘ verbinden will, ist dieser Satz wahr, und folglich kann Petrus vorher die Glückseligkeit nicht erlangen.
Der Franziskaner Johannes Duns Scotus (ca. 1265-1308) fragt nach der Ursache der Kontingenz in der Welt und begründet, dass auch der göttliche Wille ähnlich frei sein muss wie der menschliche
Vorausgesetzt also, dass es Kontingenz in den Dingen gibt, so ist zweitens
zu prüfen, wo der erste Grund für Kontingenz liegt. Hierzu stelle ich die
Behauptung auf, der erste Grund für Kontingenz liegt im göttlichen Willen
bzw. in dem Willensakt, der sich auf etwas von sich selbst Verschiedenes
richtet.
Ich beweise dies folgendermaßen: Wenn es für Gott beim Verursachen des
von sich selbst Verschiedenem eine Notwendigkeit gäbe, [1] wäre nichts im
Universum kontingent, [2] gäbe es auch keine Zweitursache im Universum;
[3] fände sich drittens nichts Schlechtes in den Dingen. Alle drei
Schlussfolgerungen sind absurd.
Das erste wird folgendermaßen bewiesen: Wenn etwas, das bewegt wird, insofern es selbst bewegt, mit Notwendigkeit bewegt wird, dann bewegt es mit Notwendigkeit. Eine Erstursache bewegt mit Notwendigkeit [...]. Folglich bewegt und verursacht jede Zweitursache mit Notwendigkeit.
Das zweite folgt ergibt sich, weil eine Erstursache ihrer Natur nach früher als eine Zweitursache bewegt und verursacht. Wenn sie also in diesem früheren Moment auf notwendige und vollkommene Weise verursacht, kann sie folglich die Wirkung nicht nicht hervorbringen. Und so bleibt nichts übrig, was im zweiten Moment eine Zweitursache verursachen könnte, außer sie würde dasselbe zum zweiten Mal verursachen, was nicht vorstellbar ist.
Thomas von Aquin erklärt den Unterschied notwendiger und kontingenter Entitäten dadurch, dass Gott diese so gewollt habe
Der göttliche Wille erlegt einigem Gewollten Notwendigkeit auf, aber nicht allem. [...] Das geschieht wegen der Wirksamkeit des göttlichen Willens. Denn weil jede beliebige Ursache wirksam zum Handeln ist, folgt die Wirkung der Ursache. [...] Weil also Gottes Wille am allerwirksamsten ist, folgt nicht nur, dass das geschieht, dessen Geschehen Gott will, sondern auch, dass es auf die Weise geschieht, auf die Gott will, dass sie geschieht. Gott will aber, dass einiges notwendig geschieht, manches kontingent, damit eine Ordnung zur Vervollständigung des Universums in den Dingen ist. Die von Gott gewollten Wirkungen entstehen also nicht deswegen kontingent, weil ihre unmittelbaren Ursachen kontingent sind, sondern deswegen, weil Gott wollte, dass sie kontingent entstehen.
Der Apostel Paulus berichtet über die Zerrissenheit seines eigenen Wollens
Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, das Gute nicht wohnt. Denn das Wollen des Schönen ist bei mir vorhanden, das Ausführen aber nicht. Denn nicht, was ich will, tue ich, das Gute, sondern was ich nicht will, das Schlechte, dies mache ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann führe nicht mehr ich dieses aus, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich finde also das Gesetz, da ich ja das Schöne tun will, weil bei mir das Schlechte vorhanden ist. Denn ich habe dem inneren Menschen nach Freude am Gesetz Gottes, aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner Vernunft widerstreitet und mich in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist, gefangennimmt.